Friedrich Christian Delius, FCD

Nachruf von Cornelia Geißler

Der neu erschriebene Augenblick

Der Schriftsteller Friedrich Christian Delius ist im Alter von 79 Jahren in Berlin gestorben.

Man mag es jetzt als Vermächtnis deuten, dass der Schriftsteller Friedrich Christian Delius sein letztes Buch „Die sieben Sprachen des Schweigens“ genannt hat. Er gehörte zu den Stillen im deutschen Literaturbetrieb, hielt sich am Rand bei Veranstaltungen, machte nach dem Krach der frühen Jahre selbst keinen Wind um seine Bücher. So lernte er es auch zu ertragen, dass sich alle Welt daran gewöhnt hatte, dass er regelmäßig etwas Neues publizierte und nur hier und da Besprechungen erschienen. Am Montag ist er in Berlin im Alter von 79 Jahren verstorben.

Ein Berliner war er, obwohl am 13. Februar 1943 in Rom geboren, wo der Vater Pfarrer an der Deutschen Evangelischen Kirche war, und im hessischen Wehrda aufwuchs. Nachdem er schon als 18-Jähriger erste Gedichte veröffentlicht hatte, kam er zum Studium in die Stadt und blieb: als Autor (so auffällig, dass er schon seit 1964 zu den Treffen der Gruppe 47 eingeladen wurde, 1965 erschien sein erstes Buch), als Doktorand (er promovierte bei Walter Höllerer an der TU Berlin über „Der Held und sein Wetter“) und schließlich als Lektor im Verlag Klaus Wagenbach.

Auf beiden Seiten unterwegs

„Aber was wäre Berlin gewesen ohne den Weg durch die Mauer, ich brauchte Gesprächspartner in beiden Berlins“, schrieb er später in einer biografischen Skizze. Er suchte nicht nur die Begegnungen, er schmuggelte auch verbotene Lektüre aus dem Westen in die DDR und auf dem Rückweg Manuskripte, etwa von Günter Kunert. Und Jahrzehnte später machte er einen Ostler, der es schaffte, heimlich in sein Traumland Italien zu reisen, zu einem Helden seiner Bücher: „Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus“. Delius war immer neugierig darauf, beide Seiten einer Sache, eines Vorgangs zu sehen, und auch in der Lage, eigene Ansichten infrage zu stellen.

Und dabei galt er lange als politischer Autor, durch das Leben in der geteilten Stadt, den Vietnamkrieg und schließlich die Studentenproteste dazu gebracht. Die Gesamtausgabe seiner Werke macht heute wieder zugänglich, wie er die Bundesrepublik in Aufregung zu versetzen vermochte. Der Band „Wir Unternehmer“ (1966) war entlarvende Dokumentarliteratur; allein durch die Auswahl von Zitaten der Redner bei einem CDU-Wirtschaftstag zeigte er, wie Kapitalismus gedacht wurde. 1972 erschien „Unsere Siemens-Welt“, als „Festschrift zum 125-jährigen Bestehen des Hauses S“, unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Firma zur NS-Zeit. Die Konzernleitung zog gegen den Autor und den Wagenbach-Verlag vor Gericht. Die Freiheit der Kunst siegte.

Im Streit um die Haltung zur Baader-/Meinhof-Gruppe der RAF verließ Delius den Verlag und gründete mit Freunden einen anderen: Rotbuch. Seine Ost-West-Arbeit setzte er hier fort. Das Kollektiv betreute die Bücher von Autoren wie Thomas Brasch, Karl Mickel und Heiner Müller. So ausgleichend und überlegt F. C. Delius auch immer auf andere gewirkt haben mag, in manchem Streit zog er also die Konsequenzen und ging. Vor zwei Wochen erst veröffentlichte er in der FAZ einen Gastbeitrag, in dem er erklärte, warum er nach fünfzig Jahren aus dem PEN austrete – aus jener Schriftstellervereinigung, die ihm einst in der Auseinandersetzung den Rücken stärkte. Im Mai 2022 wollte er ein Zeichen gegen den Umgang mit dem Präsidenten Deniz Yücel setzen.

Heute heißt es autofiktional

In „Die sieben Sprachen des Schweigens“ gebraucht F. C. Delius einmal die Formulierung „irgendwann wirst du diese Augenblicke neu erschaffen und erschreiben“ und charakterisiert damit die Methode der meisten seiner Bücher der späteren Jahre. Das persönliche Erleben formte sich zu Literatur, lange bevor es „autofiktional“ genannt wurde. Beispielhaft sind dafür zu nennen: „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“, „Amerikahaus und der Tanz um die Frauen“ und „Als die Bücher noch geholfen haben“.

Cornelia Geißler, Berliner Zeitung, 31.05.2022

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