Friedrich Christian Delius, FCD

Der Direktor des DHMD Klaus Vogel und der Schriftsteller Friedrich Christian Delius:

Reden über das Wetter


Vogel:
Herr Delius, hat die letzte Wettervorhersage, die Sie gesehen haben, gutes oder schlechtes Wetter versprochen?

Delius: Ich versuche beim Wetter moralische oder wertende Begriffe wie „gut“ oder „schlecht“ zu vermeiden. Regen ist meistens ja nützlich, also gut, und kann übrigens sehr schön sein, Sonnenwetter unerträglich. Beim Schnee fluchen die einen und freuen sich die andern, und so weiter.

Vogel: Sie selbst leben über die Hälfte des Jahres in Rom – aus deutscher Sicht ein cleverer klimatologischer Schachzug. Klagen auch Römer über ihr Wetter?

Delius: Römer meckern über alles. Nach einem Tag dunkelgrauer Wolken oder Regen heißt es sofort „maltempo“, und über Hitze ab dreißig Grad wird auch schnell gestöhnt. Aber jeder weiß, dass das überwiegend heitere „bel tempo“ nicht lange auf sich warten lässt – das ist dann doch anders als in Deutschland. Man weiß schon zu schätzen, dass man in meteorologischer Hinsicht privilegiert ist.

Vogel: Gehört Unzufriedenheit mit dem Wetter zum deutschen Habitus? Oder allgemein zum Menschen?

Delius: Unzufriedene Menschen sind auch mit dem Wetter unzufrieden. Zufriedene oder halbwegs zufriedene hadern auch wenig mit dem Wetter, würde ich behaupten.

Vogel: Verändern sich Menschen, je nachdem, in welcher Klimazone sie leben?

Delius: Natürlich, wir sind ja Anpassungstiere. Und es hat auch einen klimatischen Grund, dass beispielsweise im kalten Norden sehr viel Alkohol konsumiert wird. Im Süden dagegen gilt ein Betrunkener schon fast als Aussätziger, jedenfalls in Italien ist das noch so. Dafür hat man es hier leichter mit dem Rauchverbot: Vor der Tür zu stehen, bei milden Temperaturen, ist angenehmer und spannender als die ganze Zeit am Tisch zu hocken.

Vogel: Die deutschen Namen für die etwa sechzig im Jahr 2008 erwarteten europa-relevanten Hochs sind schon vergeben – zwei davon werden übrigens Friedrich und Christian heißen: ein Anlass zur Identifikation?

Delius: Nein, so größenwahnsinnig bin ich eigentlich nicht.

Vogel: Aber was bedeutet es, wenn Hochs und Tiefs in Deutschland seit etwa fünfzig Jahren Namen haben? Und heute auch Hurrikane und Taifune? Und warum werden Vornamen verwendet?

Delius: Interessant daran ist wohl nur, dass in den ersten Jahrzehnten die Tiefs immer weibliche Namen, die Hochs männliche Namen erhielten. Ich kann mich noch an die Proteste erinnern, und es dauerte eine Weile, bis die Herren des Wetters etwas mehr Emanzipation über unseren Köpfen walten ließen. Ja, und warum nimmt man Vornamen und nicht Städte, Länder, Flüsse, Tiere? Ein bisschen Human Touch am Himmel, schätze ich. Wechselnde Duette der weiblichen oder männlichen Namen auf dem Himmelsparkett, das hat ja auch was hausbacken Surreales, wenn „Günter“ und „Ilona“ da oben um Einflusszonen streiten, während „Franz“ sich über dem Schwarzen Meer verkrümelt und „Heiner“ und „Jessica“ schon zur Attacke blasen.

Vogel: Starke Wetterbewegungen werden weltweit verfolgt und berechnet; in den USA gibt es den Weather Channel, in den Tagesthemen den Strömungsfilm; die Menschheit lebt in stetiger Spannung zwischen Vorhersage und Realität – ist das Wetter zu einem verbindenden Narrativ der Weltgesellschaft geworden?

Delius: Ja, auch ich habe den Eindruck, dass heute wesentlich mehr mediales Getue rund um das Wetter gemacht wird als noch vor zwanzig oder vierzig Jahren. Die einfachste Erklärung dafür wäre: Weil wir uns sonst nichts zu sagen haben. Aber die Gründe liegen tiefer. Wetter betrifft jeden, den Wetterbericht braucht potentiell jeder Zuschauer – jedenfalls dann, wenn es kritisch wird mit Glätte, Schnee, Hitze oder Regenfluten oder bei der großen Menschheitsfrage: morgen Regenschirm, ja oder nein? Und das Fernsehen nutzt diese Nachfrage aus, um uns so lange wie möglich mit dem Thema Wetter zu fesseln und am Abschalten zu hindern, indem es auch den alltäglichen, banalen oder normalen Wetterbericht auswalzt und emotionalisiert und die Vorhersage dramatisiert. Der Tagesthemen-Strömungsfilm hat null Informationswert, außer für den Meteorologen, aber als Bild macht er sich immer gut, und besonders faszinierend ist er als Wortschöpfung – etwas für Feinschmecker der Wörter wie mich. Oder denken Sie an den Medienaufwand, der seit ein paar Jahren mit der albernen Frage nach „weißen Weihnachten“ getrieben wird. Nur weil ein paar Medien-Fuzzis zu oft die amerikanische Schnulze „White Christmas“ gehört haben, belästigen sie uns mit ihren Klischee-Sehnsüchten.

Vogel: Wird heute ein globales, ein „Weltwetter“ wahrgenommen?

Delius: Wenn etwas globalisiert ist, dann, seit den Zeiten der Ursuppe, das Wetter. Und ich denke, es kann nur gut sein, wenn wir, die wir in einer der angenehmsten Klimazonen der Welt leben, einiges erfahren von den Hurrikanen in Mittelamerika, den Dürren in Afrika und den Regenkatastrophen in Asien.

Vogel: In den Fernsehnachrichten wird der Wetterbericht mit immer neuen Mitteln veranschaulicht, während die politischen Meldungen vergleichsweise konventionell abgehandelt werden. Sagt das etwas über unsere Gesellschaft aus?

Delius: Leider ja. Politikmüdigkeit und -verdrossenheit werden ja von den Medien fleißig mitproduziert. Überspitzt könnte man sagen: Je mehr Politikmüdigkeit, desto mehr Wetter-Aufmerksamkeit. Und im Gegensatz zur Politik, die keine Lösungen mehr weiß oder sich über jeden Lösungsansatz streitet, glänzt der allwissende Wettermann oder die allwissende Wetterfrau mit konkreten Aussichten für zwei, drei Tage. Das hat was Tröstliches. Das sind Zeremonienmeister unserer Gefühle, die den Streit zwischen Hochs und Tiefs besser erklären können – weil das recht simpel zu erklären ist – als die politischen Kommentatoren einen Streit in der Großen Koalition – wo es viel komplexere Gründe gibt. Die Wetterleute vermitteln den Eindruck, als liege unser Wohlbefinden in ihrer Hand. Deshalb sind sie populär geworden. Vielleicht wäre Jörg Kachelmann kein schlechter Bundespräsident.

Vogel: Sind „weiße Weihnachten“ kein Bestandteil Ihrer Kindheitserinnerungen?

Delius: Nein, es schneite oft erst, wenn die Weihnachtsferien vorbei waren.

Vogel: „Alle reden übers Wetter. Wir nicht!“ Als dieser Slogan in linken WG-Küchen hing, haben Sie an Ihrer literaturwissenschaftlichen Dissertation geschrieben, die 1971 erschienen ist, Titel: Der Held und sein Wetter – wie kam es dazu?

Delius: Walter Höllerer, Germanistik-Professor an der TU Berlin, Autor und „Erfinder des Literaturbetriebs“, wie er genannt wurde, Höllerer fragte mich in meinem fünften oder sechsten Semester: „Nun, worüber wollen Sie promovieren?“ – Auch andere Studenten, die sich gleichzeitig literarisch betätigten, versuchte er mit dieser Frage möglichst früh an ein Thema zu binden. Ich weiß nicht mehr, ob ich spontan oder ein, zwei Wochen später antwortete: „Über das Wetter.“ Denn ich hatte kurz zuvor in einer Vorlesung von Eberhard Lämmert den Satz aufgeschnappt „Hier ist das gute Wetter wieder mal der beste Stimmungsmacher für schlechte Autoren.“ Höllerer war sofort angetan: „Dann machen Sie mal ein Konzept!“ Das war Ende 1965. Das SDS-Plakat, das einem Bundesbahn-Plakat nachgemacht war, kam dann erst 1967 oder ’68 – ich habe es stets als ironische Pointe betrachtet.

Vogel: Wie wird denn Wetter in der Literatur eingesetzt, die Sie untersucht haben?

Delius: Leider ist mir die Fähigkeit nicht gegeben, in drei Sätzen zusammenzufassen, was ich auf rund zweihundert Seiten ausgeführt habe. Ich habe mich beschränkt auf den deutschen Roman des 19. Jahrhunderts aus der Zeit des sogenannten Bürgerlichen Realismus, u. a. Raabe, Keller, Fontane. Die meisten Autoren arbeiten nach dem Schema: Guter Held, gute Heldin – gutes Wetter, böser Held – schlechtes Wetter. Oder: vor unerwarteten oder dramatischen Wechseln der Handlung gibt es regelmäßig Gewitter oder Sturm. Bei Raabe habe ich eine antisemitische Sonne entdeckt, den Wind als Kuppler und bei Fontane die Technik des Wetterumschlags mit fatalen Folgen für die Figuren, und so weiter.

Vogel: Ist das Wetter für Sie ein Faszinosum geblieben?

Delius: Eigentlich nicht. Eher ein Kuriosum. Es ist ja ohnehin eine sehr kuriose Geschichte, wie aus mir ein angeblicher Experte fürs Wetter wurde. Meine Dissertation wurde seinerzeit sogar im Spiegel rezensiert, und in Germanistenkreisen gilt sie immer noch als vorbildlich für Witz und Leichtigkeit, deswegen wurde sie nicht völlig vergessen. Und deswegen werde ich von Journalisten, die vielleicht einmal Germanistik studiert haben, immer wieder angesprochen, wenn sie einen Beitrag fürs Radio oder für die Zeitung über irgendwelche Wetterfragen machen. Man schmückt das dann gern mit der angeblichen Autorität eines Schriftstellers. Für andere Journalisten wiederum gelte ich als Experte für die Studentenbewegung oder den „Deutschen Herbst“, für Italien, Siemens, Fußball, die Gruppe 47, die fünfziger Jahre oder die deutsche Vereinigung. Davon versteh ich immerhin ein bisschen was. Aber eigentlich nichts vom Wetter, und das amüsiert mich. Die spärlichen meteorologischen Kenntnisse, die ich mir vor rund vierzig Jahren angeeignet habe, sind weitgehend vergessen. Trotzdem hält sich der Irrtum, ich sei ein Experte, sogar beim ehrwürdigen Deutschen Hygiene-Museum.

Vogel: Nun, schon in der Antike kannte man eine Art „reine“ Wettererklärung und auf der anderen Seite eine – damals aber noch allgegenwärtige – symbolische Wettererfahrung und Wetterinterpretation. In Ihrem 2004 erschienenen Roman „Mein Jahr als Mörder“ hört der Protagonist Nachrichten, weil er auf den Wetterbericht wartet, aber bevor der kommt, trifft die Nachricht vom Freispruch des NS-Richters Hans-Joachim Rehse ein, die das weitere Geschehen und Nichtgeschehen in Gang setzt – vom Wetter ist dabei kaum mehr die Rede, noch nicht einmal auf der Ebene von Beschreibungen. Dennoch läuft ein Konflikt mit: Kann man sich sinnvoll der Natur widmen – zum Beispiel Schnee fotografieren –, während es drängende gesellschaftliche Probleme gibt?

Delius: Der Roman spielt ja 1968/69 – und ich versuche, den damals vieldiskutierten Konflikt zwischen Interesse an der Natur und Interesse an der Gesellschaft wenigstens anzudeuten. Die berühmten Gedichtzeilen von Brecht, wonach „ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt“, mit Ausrufungszeichen, sind auf den ersten Blick richtig, aber wenn man sie zum Dogma erhebt wie 1968, auch wieder falsch. Spätestens seit dem Erwachen der Umweltbewegung in den späteren siebziger Jahren wissen wir, dass auch die Bäume, genau betrachtet, von den Menschen sprechen. Es ist also ein Wechselverhältnis. Es gibt jede Menge Naturlyrik, die auf subtilste Weise politisch ist.

Vogel: Wenn Wetter „der beste Stimmungsmacher für schlechte Autoren“ ist – wie setzen gute Autoren es ein? Es ist ja nun mal da und beeinflusst die Stimmung auch in dem, was gelegentlich als das richtige Leben bezeichnet wird.

Delius: Nein, das Wetter in der Literatur ist eben nicht da, sondern es wird gemacht, ausgedacht, arrangiert – am Schreibtisch der Autoren, der guten wie der schlechten. Es ist und bleibt Fiktion, wie auch die Figuren, die Situationen, die Konflikte Fiktion sind.

Vogel: Ist das Wetter zu zufällig für die Literatur?

Delius: Nein. In der Literatur gibt es keine Zufälle. Um Wirklichkeiten darzustellen, meinetwegen auch die Wirklichkeit einer bestimmten Wetterlage, fällen Autoren bestimmte Entscheidungen, sie haben dabei alle Freiheiten – und die Regeln der Ästhetik. Mit dem Wetter ist es relativ einfach, Kitsch zu produzieren und bei den Lesern gute Lese-Stimmung zu erzeugen, viele begnügen sich damit. Aber, wie alles andere muss auch das Wetter in der Literatur kunstvoll komponiert werden, sehen Sie sich als Beispiel nur mal die Anfänge von Musils Mann ohne Eigenschaften aus der ersten oder Johnsons Jahrestagen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an.

Vogel: Kann man das Wetter überhaupt zufällig nennen?

Delius: Das Wetter scheint nur zufällig. Die Meteorologen können wissenschaftlich sehr genau erklären, welche Faktoren zusammenwirken, um an einem bestimmten Punkt zu einer bestimmten Zeit ein bestimmtes Wetter herrschen zu lassen. Irrtümer und „Zufälle“ gibt es ja nur dann, wenn die Leute zu weit voraussehen wollen.

Vogel: Ganz jenseits der Meteorologie reden wir oft in Wettermetaphern, die dann übertragene Bedeutungen haben. Wie tragfähig ist eigentlich die Metapher des „Deutschen Herbst“?

Delius: Ich bin da nicht so ganz sicher, obwohl ich selbst meine Roman-Trilogie, also „Ein Held der inneren Sicherheit“, „Mogadischu Fensterplatz“ und „Himmelfahrt eines Staatsfeindes“ (1), unter diesen Titel gestellt habe. „Deutscher Herbst“ klingt mir eigentlich zu trist, zu eindimensional grau, dabei ist der Herbst doch von schönster Widersprüchlichkeit. Manchmal denke ich, die schlichte Jahreszahl „Neunzehnhundertsiebenundsiebzig“ wäre für die Trilogie doch besser gewesen.

Vogel: „Klimakatastrophe“ war das Wort des Jahres 2007. Wird sich durch unsere veränderte Perspektive auf Wetter und Klima, durch die Entwicklung der Atmosphäre zum Gegenstand von Weltpolitik, auch die Rolle verändern, die Wetter und Klima in der Literatur spielen?

Delius: Ja.

Vogel: In der Süddeutschen Zeitung wurde unlängst beschrieben, dass Kohlendioxid im Zuge des aktuellen Klimawandeldiskurses dabei ist, zum Maß aller Dinge zu werden. Haben Sie sich als Autor auf Kohlendioxid eingestellt? Ist unser täglicher CO2-Ausstoß für Sie ein Thema?

Delius: Ich finde das ehrenwert und nicht falsch, aber niemand soll sich einbilden, wir könnten uns von einer Mitverantwortung oder „Mitschuld“ durch korrektes Verhalten freikaufen. Sehen Sie, seit den Römern oder seit den Zeiten des Kolonialismus leben die Bewohner der reichen Länder auf Kosten der Bewohner der armen Länder. Das ist heute noch extremer als vor hundert oder zweihundert Jahren. Für den Hunger der Armen sind wir, sind auch unsere Essgewohnheiten verantwortlich, dies Faktum ist seit Jahrzehnten bekannt und leicht vorzurechnen. Und das nicht nur, wenn wir zu amerikanischen Hamburgern oder afrikanischen Bohnen oder südamerikanischen Blumen greifen – ich habe vor einigen Jahren ein Buch, eine Satire darüber geschrieben, „Einige Argumente zur Verteidigung der Gemüseesser“ (2) Wer hier ethisch korrekt sein will, müsste mit einem Handbuch und dem Taschenrechner durch den Supermarkt laufen. Ethisch sauberes Konsumieren gibt es auch im Bekleidungshaus und im Elektronikmarkt und in der Drogerie nicht. Deshalb stört es mich, wenn die Leute, die jetzt ihren CO2-Ausstoß pingelig nachrechnen, meinen, irgendwie bessere Menschen zu sein und damit oder allein damit die Welt zu retten. Ich versuche mich als Konsument maßvoll und vernünftig zu verhalten, einigermaßen informiert, aber ohne Ideologie.

Vogel: Gilt das Wetter auch heute als „vergleichsweise banaler Gegenstand“, wie Sie 1971 im Vorwort ihrer Dissertation geschrieben haben, oder ist das Thema heute grundsätzlich ein Politikum?

Delius: Ja, das ist in der Tat neu: Nicht nur die Beschäftigung mit dem Klima ist zu einer politischen Frage geworden, auch das Wetter tut manchmal so, als sei es politisch geworden. Übrigens, noch in den siebziger Jahren galt die Beschäftigung mit Umweltfragen als Spinnerei, als wirtschaftsfeindlich. Ich habe noch den Hohn der Konservativen und der Unternehmer im Ohr, und in der DDR war das ja genau so mit ganz ähnlichen Argumenten. Und heute bestreitet niemand mehr, wie politisch diese Fragen sind – auch die chinesische Regierung und Präsident Bush bestätigen das auf ihre Weise.

Vogel: Und die Natur?

Delius: Es ist schwer zu beantworten, was aus dieser Entwicklung wird. Bislang war der Mensch gewohnt, das Wetter und die Natur als etwas zu betrachten, das von oben kommt, wie das Schicksal, wie Gott. Seit ein paar Jahren wissen wir, dass unser Verhalten das Wetter deutlich beeinflusst. Bis vor kurzem waren wir Objekte des Wetters, jetzt sind wir auch Subjekte, sind Wettermacher. Das ist etwas völlig Neues, eine kopernikanische Wende der Wetterbetrachtung. Wir können nicht mehr verdrängen, dass wir mitdrehen am großen Rad der Erwärmung. Und das führt zu dieser etwas peinlichen Moralisierung des Themas Wetter.

Vogel: Spätestens mit dem anthropogenen Klimawandel und den Versuchen, ihn aufzuhalten, wird der Mensch selbst zum Wettermacher. Brauchen wir jetzt einen neuen Naturbegriff? Oder gibt es die Natur gar nicht mehr, weil es nichts mehr jenseits des Zuständigkeitsbereichs einer noch in Ausbildung befindlichen Weltgesellschaft gibt?

Delius: Natur ist nichts Statisches, nie gewesen. Und ein Idyll schon gar nicht. Sie entwickelt sich nach ihren Gesetzen. Wir können allenfalls hier und da ein bisschen hineinpfuschen oder nachjustieren. Wir kratzen und krabbeln ja nur ein bisschen auf ihrer Oberfläche herum. Ob und wie lange sie sich das Gepiekse gefallen lässt oder nicht, wissen wir nicht. Und auch nicht, ob sie die Katastrophen gnädig im üblichen Rahmen bleiben lässt oder nicht.

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(1) Die drei Romane der Trilogie Deutscher Herbst erschienen in der angegebenen Reihenfolge: Reinbek 1981, 1987, 1992
(2) Einige Argumente zur Verteidigung der Gemüseesser. Eine Denkschrift, Berlin 1985

(aus: 2 Grad. Der Mensch, das Wetter und sein Klima. Katalog Deutsches Hygiene-Museum Dresden 2008)

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