Ich bleibe ein fröhlicher Skeptiker
Ich bleibe ein fröhlicher Skeptiker
Herr Delius, lieben Sie Luise?
Delius: Die Königin von Preußen? Ich bin doch nicht Albert Rusch! Trotzdem ist Luise auch für mich eine Ausnahmegestalt inder deutschen Frauengeschichte. Eine intelligente, sehr hübsche, von Menschenliebe und Lebenslust geprägte Dame an der Spitze eines deutschen Staates – an der Seite eines stumpfbackigen Königs. Eine preußische Venus und mater dolorosa in einem.
Färbt da der rosarote Nachruhm den Blick auf die echte Luise?
Delius: Der Nachruhm ist die eine Sache, die andere Sache ist die, dass Luise bereits von Zeitgenossen, nicht nur von Kleist und Jean Paul, gerühmt wurde – und die kannten sie ja wirklich. Ihre Aura verdankt sie der Tatsache, dass ihre Heirat eine Liebesheirat war. Eine Sensation in Zeiten, in denen solche Ehen politisch und oft nur unter Vettern und Cousinen ausgekungelt wurden. Sie war eine Pionierin der Liebe – auch für das Bürgertum.
Ihre Romanfigur, der Schriftsteller Albert Rusch, beantwortet die Luise-Frage mit erotischen Halluzinationen und ist fortan erledigt für die Medienwelt. Was hat er bei der Preußen-Recherche im Gegensatz zu Ihnen falsch gemacht?
Delius: Er hat sich – als ferner Nachfahre der Preußen- und Oranier-Regenten – in seinen privaten Königswahn hineingesteigert und in der Anbetung Luises verloren. Ein Medienmensch, ohne Bodenhaftung, der abstürzt.
Ist das eine Gefahr, die Ihnen als Gestalter biografischer Stoffe so völlig unbekannt ist?
Delius: Ich versetze mich in meine Figuren. Ich kenne die Gefahr, aber für mich gilt sie nicht, hoffentlich. Ich bleibe ein fröhlicher Skeptiker.
Es geht ja auch gut aus für Albert Rusch: Er landet als Ausstellungsobekt in einem Glaskasten fernab der Öffentlichkeit.
Delius: Über die Pointe wollte ich hier eigentlich nichts verraten.
Das Preußenjahr, dessen Erfinder Sie uns mit Albert Rusch präsentieren, ist vorüber. War es für Sie so düster, wie im Buch enworfen?
Delius: Albert Rusch hat fast alles, was zum Thema Preußen zu sagen war, bereits vorab erklärt. Was wir dieses Jahr erleben, sind nur noch die Nachwehen seiner Aufklärungsarbeit zwei Jahre vorher in Talkshows usw. Aber düster ist das nicht, Rusch ist frech, originell, medienwirksam.
Die Ausstellungen in Berlin und Potsdam waren groß, aber doch sehr schaubudenhaft. Durch die ist das Volk gelaufen wie durch lichte Freizeitparks.
Delius: Mag sein, die Ausstellungen sinnicht so ein rauschender Erfolg gewesen, wie es die Veranstalter erhofft hatten. Aber sie haben das Wissen über Preußen verbreitert, und das kann keinem schaden.
„Preußen“ ist doch längst eine Chiffre, die für jeden Meinungskampf verwendbar ist. Und auch 2001 wieder war: Haben Sie die Debatten verfolgt?
Delius: Nein, nur am Rande. Es gab keine Ausrufezeichen für mich, keine neuen Anstöße, die in die Gegenwart führen. Diese Debatten hatte ich in dem Roman schon parodiert, bevor sie stattfanden.
Wo hat Sie selbst das Thema Preußen gepackt?
Delius: Die Einsicht, die ich Sebastian Haffner verdanke: Dass Preußen bis 1815 ein vergleichsweise progressiver Staat gewesen ist.
Ihr Roman ist ja nur in dritter oder vierter Instanz ein Buch über Preußen. Es ist auch ein Buch über eine Meinungsindustrie, in der die Nachfrage das Angebot herstellt, über einen Autor, der sich in der gemeinen Quoten-Hatz selbst verlorengeht. Eine Frage, die sich mir aufdrängte: Leiden Sie unter dem Literaturbetrieb?
Delius: Nein. Ich denke gar nicht daran, mein Wohlbefinden und mein Leiden vom Literaturbetrieb definieren zu lassen. Ich kenne den Betrieb seit gut 35 Jahren – und lebe von ihm.
Die Frage ist deshalb keine zufällige, weil im Roman sehr bekannte Alarm-Zeichen gesetzt werden. Da gibt es zum Beispiel das Stuckrad-Barre-Pendant „Herr von F.“ unter dem Albert Rusch sehr leidet. Warum aber, Herr Delius, ist das Selbstbewusstsein eines Autors einer anderen Generation und eines anderen literarischen Segmentes derart anfällig für den Erfolg eines Pop-Literaten?
Delius: Albert Rusch ist ein Autor von 41 Jahren und zunächst ein erfolgloser Autor, mit dem es abwärts geht. Ich bin nicht nur ein Stück älter, sondern sehe mich auch nicht als erfolglosen Autor. Aber ich weiss, dass es die Autoren um die 40 heute am schwersten haben. Eben noch die Jungautoren – und plötzlich kommen da die ganz Jungen. Die sind viel stärker in den Zangen des Marktes als ich.
Rusch beklagt auch, dass derjenige Pech hat, der sich früh als linker Autor etabliert hat, denn Linke lesen nicht. Hat Rusch Recht?
Delius: Das ist eine Zuspitzung. Aber im Großen und Ganzen leider richtig.
Und es fällt der traurige Satz: „Konservative Ansichten ziehen nicht, progressive auch nicht.“ Was zählt dann dieser Tage?
Delius: Das wird nicht traurig gesagt, sondern mit Lust und Zynismus. Was zählt, sind verkäufliche Meinungen, verkäufliche Gesichter – trotzdem muss nicht alles Blödsinn sein, was dabei raus kommt. Was zählt, ist die Ich-Kultur, auch das nichts Neues.
Ihr Buch verhandelt auch das Einwirken politischer Prämissen in die literarische Arbeit. Meldet sich Ihre politische Sozialisation zuweilen als Bauchredner?
Delius: Nein, ich habe doch nicht heute die Gedanken von 1966 oder 68. Da gibt es keinen Bauchredner, sondern den Versuch größter Aufmerksamkeit und Wachheit. Mich interessiert, wie damals auch: Wie verändern gesellschaftliche Umbrüche das Individuum? Wie verändert beispielsweise der 11. September unser Denken und Leben? Ich trage keine Aussagen, Thesen, Theorien vor mir her, sondern ich frage – und antworte mit Büchern.
Lässt sich Ihr politischer Impuls etwas konturieren?
Delius: Nehmen wir z.B. Meinungsfreiheit, radikal verstanden. Seit den 60er Jahren habe ich versucht, das Ideologische vom Politischen zu trennen. Als Schriftsteller will ich einen breiten Horizont, keine Scheuklappen. Scheuklappenträger sind aber, egal in welcher politischen Richtung, heute die Regel. Auf die reagiere ich allergisch – oder literarisch.
Was längst wieder vergessen wurde: Zu Beginn dieses Jahres wütete eine hochnotpeinliche 68er Debatte. Was sagen solche Veranstaltungen über unsere Zeit?
Delius: Die Debatten in Deutschland leiden darunter, dass wir uns in der Hysterie eines permanenten Wahlkampfs befinden. Die Partei, die derzeit nicht an der Macht ist, hat ein großes demagogisches Potential und eine starke Presse hinter sich und versucht mit allen Mitteln, irgendwelche Dinge hochzukochen und am Kochen zu halten, bis der Überdruss kommt – und eine Personaldebatte ansteht. Ich will nicht falsch verstanden werden: Debatten, auch über 68, sind lebenswichtig für die Demokratie, aber wenn Demokraten Demagogen werden und Journalisten Scharfschützen, dann führt das nur zu einer
Verkrustung und Denkunlust.
Diese Bekenne-dich-Debatten sind ja keine politischen Erhellungen, sondern psychotische Fixierungen.
Delius: Ja, vielfach toben sich nur Reflexe aus, kocht jeder sein altes Süppchen noch mal auf. Kaum jemand wagt von eigenen Fehlern zu sprechen.
In Ihrem Roman fällt der Harry Mulisch-Satz: „Nichts ist fiktiver als die Vergangenheit“. Stimmt denn dieser Satz?
Delius: Er bezieht sich auf ein Drama einer unehelichen Königstochter, das ich erzähle und das mit vielen Dokumenten belegt ist, eine alte Familiengeschichte. Aber mit dem Schreiben fängt die Fiktion an – denn jedes sog. Faktum lässt sich auf unendlich viele Weisen darstellen.
Stimmt denn nicht eher der Satz: Nichts ist fiktiver als die Gegenwart. Gerade in den Tagen nach dem 11. September, war spürbar: Wir fassen alle fast nichts. Und das, was wir fast nicht wissen, wissen wir nur aus dritter Hand.
Delius: Richtig – und doch haben wir das Gefühl, dass „ein Übermaß an Wirklichkeit auf uns einstürzte“, wie Susan Sontag gesagt hat.
Welche Antwort auf den vorsätzlichen Massenmord in New York halten Sie politisch für notwendig?
Delius: Kein Zweifel, es muss ein gezielter Kampf gegen Terrorismus und militante Intoleranz geführt werden. Aber es sollte auch, woran der Amerikaner Benjamin Barber erinnert, weitergedacht werden: wie mit dem Kampf gegen die Feinde der Freiheit auch die Demokratie zu globalisieren wäre.
Hat sich Ihr Lebensgefühl als Autor nach dem Terror-Schlag verändert?
Delius: Ja, aber nach den Tagen des Entsetzens, der Depressionen und Lähmungen kommt die Klarheit wieder: weiter gegen die Uniformierung der Sprache und des Denkens zu schreiben. Und hoffentlich dazu beizutragen, z.B. mit „Der Königsmacher“, dass Ironie und Humor nicht völlig untergepflügt werden.
Kölner Stadtanzeiger, 10.10.2001
Die Fragen stellte Christian Eger