Satiren Konservativ
Konservativ in 30 Tagen
Ein Hand- und Wörterbuch Frankfurter Allgemeinplätze
224 Seiten, Rowohlt, Reinbek 1988
ISBN 978-3-498-01276-2
Nur noch antiquarisch erhältlich (ZVAB)
Während eines Jahres (1987) hat der Schriftsteller F.C. Delius alle Leitartikel, Glossen und Kommentare aus den Ressorts Politik und Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gelesen und die auffälligsten Formulierungen gesammelt – und im besten konservativen Sinn bewahrt. Mehr als 1000 dieser Zitate wurden zu einer Collage verarbeitet, für die klassische Sprach- und Lehrbücher ein Vorbild abgaben.
Sprache und Gepflogenheiten des Konservatismus, die F.C. Delius hier beschreibt, haben auch im neuen Deutschland nichts an Gültigkeit eingebüßt. Dieses Buch bietet insbesondere den neuen Bundesbürgern eine witzige Möglichkeit, sich mit konservativen Sprachgewohnheiten vertraut zu machen und ihre Verlockungen zu erkennen.
„Abgründe dort sehen zu lernen, wo Gemeinplätze sind – das wäre … Erlösung der Lebensgüter aus den Banden des Journalismus und aus den Fängen der Politik.“ (Karl Kraus)
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Pressestimmen:
Ratgeber für Eilfertige
Friedrich Christian Delius als „FAZ“-Leser
Man glaubte früher, dreissig Tage seien eine angemessene Zeit, um den Tod eines Verwandten zu beklagen. Nach der Feier des „Dreissigsten“ lockerte sich die Trauerarbeit, man wandte sich wieder entschiedener den Lebenden zu. Vielleicht hängt dies damit zusammen, dass ein Mondumlauf am deutlichsten Zeitabschnitte über den Tag- und Nacht-Zyklus hinaus markiert. Irgendwann ist jemand auf die Idee gekommen, die Monatsfrist auch zu anderen Zwecken für eine Idealzeit auszugeben. Es entstanden haufenweise Bücher mit Titel wie „Russisch in 30 Tagen“. Wer sich je auf ein solches Monatsversprechen eingelassen hat, lernte eher etwas über den eigenen Hang zur Illusionen als Russisch. Doch dieses Lernmodell für Eilfertige hatte trotz den konstant schlechten Ergebnissen immerhin kommerziellen Erfolg.
Im Titel „Konservativ in 30 Tagen“ schlägt der parodistische Ton durch. Zwar soll es Fälle geben, bei denen der Gesinnungswandel vom Veränderer zum Bewahrer sich weit schneller als innert eines Monats vollzogen hat. Einsichten mit augenblicklichen Folgen sind auch da nicht ausgeschlossen. Meistens jedoch geht die Veränderung schleppend, ja geradezu kriechend vor sich. Hier will der Schriftsteller Friedrich Christian Delius aller Vermutung nach beschleunigend eingreifen. So schreibt er ein Buch nach dem Muster der kalendarisch bemessenen Schnellaneignung.
Dazu liest er den Jahrgang 1987 der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, das heisst „alle Leitartikel, Glossen und Kommentare aus den Ressorts Politik und Wirtschaft“ – das Feuilleton ist nach Meinung des Autors „für konservative Zwecke nicht hundertprozentig brauchbar“ – und ordnet das so gefundene einschlägige Material den didaktischen Regeln eines Schnellkurses gemäss zu einer Einübung in die konservative Weltanschauung. Der Stoff wird thematisch und methodisch gestaffelt, Tabellen mit Vokabeln und Redensarten werden angelegt, Erfolgskontrollen anhand von Übungen stichprobenartig durchgeführt, die wichtigsten Merksätze stehen schliesslich in Fettdruck da, der Leser darf sich ihrer Aussage entlang auf sicherem konservativem Kurs glauben. Wer es bis zur 30. Lektion durchhält, bekommt am Ende sogar 32 „Sprichwörter zum alltäglichen Gebrauch“ geliefert, die ihm trotz ihrer Unprägnanz einleuchten werden nach allem, was er 29 Tage lang über den Menschen, die Natur, den Markt, die Moral, die Geschichte, die Kultur, die Kirchen, die Frau, die Gewerkschaften und die politischen Gegner erfahren hat (dies eine Auswahl der Hauptthemen). Delius hat keine Mühe gescheut, für die komplizierten markt- und gesellschaftspolitischen Zusammenhänge jeweils die verfänglichsten Kurzformeln aufzufinden.
Natürlich ist so ein ganz und gar denunziatorisches Buch entstanden. Hier findet die von Karl Kraus zur hohen Demaskierungskunst entwickelte Technik Anwendung, durch geschickte Montage von Zitaten die hässlichen Züge des Gegners kenntlich zu machen. Packt sie an ihren eigenen Worten, lautet die Devise. Ausser in den des Stilmittels der Ironie sich bedienenden „Hinweisen für die Praxis“ („Vor dem Markt sind alle gleich, das heisst: jeder ist auf sich selbst, das heisst: auf seine Kreditwürdigkeit gestellt.“) und in den suggestiven Umschreibungen der Übungsthemen („Nehmen Sie der Geschichte ihre Bedrohlichkeit und stellen Sie Kaiser Wilhelm und Hitler als einfache Bürger dar!“) darf die Stimme des Autors schweigen. Er braucht nur die Wort der „FAZ“-Kolumnisten neu zu ordnen, um die Lacher und die Empörten auf seiner Seite zu haben.
Ein in dieser Manier konstruiertes Buch ist so vergnüglich wie unfair. Die Banalität vieler Sätze erhält, einmal aus der betäubenden Umgebung der Nachbarsätze herausgelöst, fast immer eine neue Resonanz. Man übersieht leicht die Bodenlosigkeit einer Phrase, solange sie im gedanklichen Stützwerk eines Leitartikels eingehängt bleibt. Manches aber klingt nicht nur hohl, sondern skandalös. Bei bestimmten Zitaten, die sich beispielsweise in den Kapiteln „Die Frau“ oder „Die Geschichte“ finden, schluckt man zunächst einmal leer. Ist es denn möglich, dass solche Dinge in einem Weltblatt standen? Es gibt jedoch keinen Anlass, an der Zitierseriosität des Autors zu zweifeln. Um nicht auf den Gedanken der Schurkenhaftigkeit der Schreibenden zu verfallen, neigt man zur Annahme, dass Sätze – aus dem Zusammenhang herausgelöst – ihre gutartige Intention verlieren und nur noch ihre zynischen Ingredienzen nach aussen kehren.
Wenn also dem Autor daran gelegen war, die Bedenkenlosigkeit des Schreibens und Argumentierens im Dienst der Besitzenden, der Begünstigten, der Macht und des Kapitals zu belegen und blosszustellen, so ist ihm dies nicht schlecht gelungen. Allerdings bleibt ein entscheidendes Problem: was hier als die Ideologie der für Politik und Wirtschaft zuständigen Journalisten der „FAZ“ dekuvriert werden soll, gleicht viel eher den Leitgedanken eines mit konservativem Gedankengut sich tarnenden Machtkartells als der eigentlich konservativen Gesinnung. Von dem, was unsereins bei Karl Mannheim und Arnold Gehlen über das Wesen des Konservatismus gelernt haben mag, ist hier nicht mehr viel zu finden. Jedenfalls ist es zu einfach, ideologische Meinungsmache aus Partikularinteressen – und um diese geht es in diesem Buch in erster Linie – als das zweifelhafte Privileg konservativen Denkens darzustellen. Gestehen wir also auch hier ein: selbst was konservativ ist, lernt man nicht in 30 Tagen.
(Iso Camartin, Neue Zürcher Zeitung, 24.02.1989)