Friedrich Christian Delius, FCD

Gedichte Kerbholz

Kerbholz
Gedichte

144 Seiten, Rowohlt Reinbek 1983
3,50 € [D] / 3,60 € [A] / 6,50 sFr
ISBN 978-3-499-15073-9
(Verlag Klaus Wagenbach, Quartheft 7, Berlin 1965 und
Verlag Klaus Wagenbach, Quartheft 37, Wenn wir, bei Rot. 38 Gedichte, Berlin 1969)

In diesem Band liegen nun F.C. Delius‘ von der Kritik vielgelobte Gedichte aus den Jahren 1965 bis 1969 gesammelt vor.

Fast alle Gedichte dieses Bandes finden sich
in dem Auswahlband der Werkausgabe
“Unsichtbare Blitze. Ausgewählte Gedichte”

 



Pressestimmen:

„Mit F.C. Delius ist unserer Sprache ein ungewöhnlich junger und ein verbal und syntaktisch bemerkenswert individueller Dichter zugewachsen.“ Die Tat

„Er bleibt sachlich und lakonisch, er verneint, um zu bejahen. Die Gedichte stellen fest, sie bitten, sie fordern – sie attackieren nicht. Sie berichten Vorgänge in parabelhafter Kürze und Bildlichkeit.“
Wolfgang Weyrauch, Süddeutsche Zeitung

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Das Wort beim Wort genommen

Zu F.C. Delius‘ erstem Lyrik-Band

In den letzten Jahren schien zeitweilig Lyrik in Deutschland nur noch die Wahl zu haben zwischen Sackgasse und Holzweg. In Anthologien war mühelos blindes Vertrauen zu Originalität, Dekor und Understatement nachzuweisen. An Talenten war kein Mangel, aber beste Gedichte, die auch nur zu vergleichen gewesen wären mit denen der drei großen Amerikaner (Williams, Olson, Creeley), gab es nicht.

Anlaß zu einigen Hoffnungen gibt F.C. Delius (Friedrich Christian) Delius, dessen ersten Gedichtband „Kerbholz“ („etwas auf dem Kerbholz haben“) jüngst der Verlag Klaus Wagenbach herausbrachte.
Fast puritanisch wirken seine Gedichte, sowohl in Knappheit und Strenge des typographischen Bildes, als auch in der Nüchternheit des Tons. Delius‘ Ideen sind genau und evident, werden logisch (manchmal allerdings funktionieren sie bewußt alogisch) und konzentriert weiterentwickelt, sind nur scheinbar auf die Schlußpointe aus. Was auf den ersten Blick als Kalauer wirkt, weitet sich aus zu einer tiefernsten Parabel. „Höflich tritt ein / der Feuerwehrmann / und fragt, ob es brenne. / Nein, sage ich, vielen Dank, / aber vielleicht / versuchen Sie’s morgen noch einmal.“
Delius greift etwas auf. Er läßt sich ein auf Aktualitäten politischer und gesellschaftlicher Art, greift an, hinterrücks, er hat im wahrsten Sinne „den Dolch im Gewande“. Er hat gelernt, das Wort beim Wort zu nehmen, läßt keine Übereinkünfte gelten, zerstört sie aber auch nicht lauthals, zornig, modisch. Mit rhetorischem Geschick führt er gängige Soldatismen hinters Licht, benutzt in diesem Falle arglistig und virtuos die Refraintechnik der Soldatenlieder. „Mein Freund schreibt aus Koblenz: / Mein Freund schreibt aus Erfurt: / Wir schießen nicht gern. / Wir schießen, / aber wir schießen. / Aber wir schießen nicht gern.“
In einem anderen Gedicht nimmt Delius einen verwässerten, schon wieder konformen Pazifismus auf die leichteste Schulter: „Heut‘ nacht / hab‘ ich ein Soldatenlied zertrümmert. / Viel Lob wird mir / seitdem zuteil. / Wie ich höre, / liegt schon ein Orden bereit.“
Gleich im ersten spröden Satz schwingen noch andere Saiten mit: ein Affront gegen Sprachingenieure, Sprachzertrümmerer, der sich leicht und unwillkürlich verbindet mit dem militärischen Aspekt der Atomzertrümmerung. Das wird von Delius nicht in blendender Verpackung dargereicht, sondern sublimiert, unter Verzicht auf alle Manierismen gesagt. Hier setzt sich rationaler Stilwille durch. Was hier gesagt wird, ist sagenswert, wenn es auch einige Male in die Nähe eines weltläufigen Moralisierens gerät oder als mahnender Aphorismus Selbstgerechtigkeit vorführt: „Alle Signale geben freie Fahrt / Wo / soll das hinführen.“
Bei Delius kommt ein sehr eigenwilliger Humor nicht zu kurz. „Rache für Schaschlik“ heißt ein Gedicht, in dem er „literarische Rache“ an einem banalen Beispiel parodiert: „…die Schaschlikköchin aus Wedding, / Anna Schreifried, / grille ich nun auf den Zeilen, / auf kleiner Flamme dieses Gedichts.“
Das Buch ist eine Sammlung sehr guter und notwendiger Gedichte. Notwendig sind sie vor allem in Hinblick auf die verbreitete Konfektionslyrik, demantene Strophen, Kleinodien in musealer Sprache, unter Vertrag genommen von Buchgemeinschaften und den Liebhabern klingenden Zierats.

(Nicolas Born, Berliner Morgenpost, 13.03.1966)

*

Berliner und andere Idyllen

Notwendige Gedichte von F.C. Delius: „Wenn wir, bei Rot“

F.C. Delius debütierte 1965 mit dem Gedichtband Kerbholz. Ein Jahr später folgte die Montage-Satire Wir Unternehmer. Das war eine der bissigsten und treffendsten Attacken gegen unsere Gesellschaftsordnung. Die Herrschenden stellten sich in dieser Dokumentar-Polemik selbst bloß. Politische Themen bestimmen auch Delius‘ neue Gedichte. In ihnen verbindet sich überaus raffiniert unmittelbares Agitprop-Engagement mit dem der Poesie. Den ironisch so genannten Berliner Idyllen steht die deutsche Provinz gegenüber. Beides eine schlecht getarnte, hygienisch aufpolierte politische Farce.
Unbekümmert Klassik aufnehmend, persiflierend, verändernd, Persönliches, Literarisches, Politisches zur Diskussion stellend, bestätigen die Gedichte einmal mehr die Begabung dieses jungen Schriftstellers. Sein Gedicht „Ein Foto“ (unnützerweise von Nicolas Born in dessen Band Wo mir der Kopf steht paraphrasiert, für welche Paraphrase sich Delius Borns „Berliner Para-Phrasen“ für seinen eigenen Lyrikband auslieh) kann geradezu als Musterbeispiel eines geglückten Essaygedichts gelten, das auf zwei Druckseiten Vietnam in seinen weltweiten Zusammenhang stellt, die ganze Ungeheuerlichkeit der sozial- und medienbetrogenen, scheinbar neutralen Zuschauer aufdeckend, die nicht wissen, daß sie mitten drin sind, als Faktor im Betrieb der Spekulation und des Profits.
Was immer man gegen die politische Lyrik der letzten Jahre an berechtigten und unberechtigten Einwänden vorbringen mag, man wird kaum bestreiten können, daß es da einige notwenige Gedichte gibt. Notwendig die einen, weil sie politische Argumente gegen das Bestehende mit einer Klarsicht und Einfachheit zu formulieren imstande sind, die auf andere Weise nicht zu erreichen ist. Notwendig die anderen, weil sie neben der kritischen die selbstkritische Position der oppositären Linken auf eine Art reflektieren, die auf dem „theoretischen Umweg“ nur mühseliger und nie so spontan dargelegt werden kann.
Als Beispiel notwendiger Selbstkritik würde ich Delius‘ Gedicht „Armes Schwein“ werten:

Armes Schwein

Um zwei Uhr nachts stürmten wir das Haus
des namhaften Kritikers. Der saß noch bei der Arbeit,
sprang sofort erleichtert auf und
nahm die Arme hoch. Sah zu, zufrieden
spielte er Entrüstung, als wir seine Bücher
in die Wäschekörbe packten, faßte aber nicht
mit an. Wir dachten an seinen bekannten
Enthusiasmus für „La Chinoise“, ließen ihm also
Majakowskij und Brecht. Schon holte er Wein
aus dem Keller. Als wir die Schallplatten
wegnahmen, sagte er bloß, er wolle von Beethoven
sowieso nichts mehr wissen, bestand aber plötzlich
auf Albert Ayler. Wir stimmten ab, ja der
sollte ihm bleiben. Wir tanzten mit seiner Frau.
Sie lud uns in die Küche, manierlich aßen wir
die Delikatessen auf. Er wollte uns dann
mit Whisky halten. Es wurde hell, wir schleppten
das Zeug endlich raus, da bot er uns das Du an.
Das, fanden wir, ging zu weit.
Da haben wir also doch wieder einen Fehler gemacht.

Das Gedicht ist umstritten. Laut Delius sollen sich die Kritiker Andersch, Bienek und Kaiser darüber „sehr erregt“ haben. Hilde Domin nannte es sogar schlichtweg faschistisch. Ich weiß es nicht, warum solche Aufregung? Ich finde das Gedicht ganz und gar nicht faschistisch. Wer es so einschätzt, übersieht einfach die gezielte Ironie seiner ganz spezifisch literarisch-politischen Zwitterthematik, und die ist es gerade, worum es Delius geht und weshalb ich hier ein notwendiges Gedicht in der gegenwärtigen Lage konstatiere. Auch wenn einige Literaten beleidigt reagieren. Es kommt für die Literatur heute möglicherweise mehr auf die Beleidigung ihrer selbst an, als manche meinen.

(Helmut Mader, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.10.1970)

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