Friedrich Christian Delius, FCD

Widerreden PEN-Austritt

Warum ich nach fünfzig Jahren aus dem PEN austrete

Beginnend mit dem Jahr 1972 musste ich, damals 29 Jahre alt und allein auf mich gestellt, nachdem ich anfangs noch einige Monate von meinem damaligen Verleger und Chef Klaus Wagenbach (dessen literarischer Lektor ich im Nebenberuf war) unterstützt worden war, vier Jahre lang mit dem Beistand eines jungen, vom Stuttgarter Buchhändler Wendelin Niedlich empfohlenen Anwalts mein Buch „Unsere Siemens-Welt“ verteidigen.

Diese satirische „Festschrift zum 125-jährigen Bestehen des Hauses S.“ hatte die Deutsche Bank, namentlich deren Vorstandssprecher Hermann Josef Abs, und die Siemens AG derart verstört, dass sie die seinerzeit renommierteste Anwaltskanzlei für Presserecht, die in Stuttgart saß, beauftragt hatten, vor dem dortigen Landgericht und später auch Oberlandesgericht, Unterlassungsklage gegen bestimmte Sätze zu führen. Die 96 Seiten meiner kleinen Schrift von 1972 wirken heute noch frech, aber harmlos. Damals kämpfte ich darum, ein Autor zu werden und kein Feigling zu sein. Das Letztere wäre verständlich gewesen, passte jedoch nicht zu meiner protestantischen Prägung.

Damals nahm mich der PEN auf und stand mir bei, zwar nicht mit Geld für die hohen Prozesskosten – allein die Flüge von Berlin nach Stuttgart und zurück verschlangen in Mauerzeiten viel Geld –, aber der PEN war die moralische Rückenstärkung, die ich brauchte. Konflikte zwischen politischen Ideologen und Tagesordnungsideologen auf der einen Seite und freieren, unabhängigen Autorinnen und Autoren wiederholten sich im PEN alle paar Jahre – nur unter Wilfried F. Schoeller und Herbert Wiesner nicht –, und Gründe zum Austritt gab es oft genug. Ich bin trotzdem im PEN geblieben, aus alter Dankbarkeit, wenn auch seit circa 25 Jahren in passiver Mitgliedschaft.

Wie tief ein Verein doch sinken kann!

Nie hätte ich gedacht, dass der PEN so tief sinken könnte, einen derart tapferen und klugen Mann wie Deniz Yücel öffentlich zu demütigen (mit einer Abstimmung von 75 zu 73 für ihn), so dass diesem aufrichtigen Präsidenten, was immer er zu dem einen oder anderen Kleingeist gesagt haben mag, nichts anderes als Rück- und Austritt übrig blieb. Wobei er, ein alter Hase darf das einwerfen, einen verzeihlichen Fehler gemacht hat. Statt von einem Verein der Bratwurstbudenbetreiber zu sprechen, die ja immerhin noch hin und wieder ein paar Bratwürste anzubieten haben, würde ich sagen: Die 73 Mitglieder, die gegen ihn gestimmt hatten, sind für mich ein Club von Kleingeistern, die wenig oder nichts zum Kauen zu bieten haben – im Gegensatz zu den Bratwurstfunktionären, die zumindest etwas Essbares zustande bringen und deren einige früher sogar für eine solide Wiener oder Frankfurter Wurst gut waren.

„Aus dem PEN tritt man nicht aus!“ Ich habe noch den Ton von Heinrich Böll im Ohr, mit dem er uns Jüngere Anfang der achtziger Jahre zum Nachdenken mahnte beim ersten großen ideologischen Konflikt (Solidarnosc kontra DKP- und DDR-Ideologie). Er dachte immer zuerst an die inhaftierten Kollegen und dann erst an die Vereinsstreitigkeiten. Aber für inhaftierte Autorinnen und Autoren (vierhundert bis fünfhundert weltweit sind derzeit bekannt) spenden will, der kann das ja auch ohne PEN-Mitgliedschaft tun.

Ich trete mit dem heutigen Tag aus dem Deutschen PEN aus, grüße und beglückwünsche auf diesem Weg Deniz Yücel, den ich persönlich nicht kenne, esse die gute Thüringer Bratwurst nur in Thüringen und brate die einzige zu mir passende Bratwurst, die Merguez aus Lammfleisch, wie stets lieber in Eigen­regie statt im Verein, erst recht in einem solchen Kleingeisterverein.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.05.2022

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