Friedrich Christian Delius, FCD

Die Dialektik des Deutschen Herbstes 1977

Die Dialektik des Deutschen Herbstes

Das Terrorjahr 1977 und die Folgen

Die Bundesrepublik, hört man in diesem Sommer immer wieder, habe sich durch die Erschütterungen des Herbstes 1977 gewandelt, vielleicht sogar gefestigt. Was sich jedoch in Staat und Gesellschaft, was sich im einzelnen verändert hat, darüber schwanken die Ansichten. Von den drei Wendepunkten der Nachkriegsgeschichte – 1967, 1977, 1989 – macht die Würdigung des Jahres 1977 am meisten Schwierigkeiten.
Gewiß, es fehlt derzeit nicht an publizistischem Fleiß, die damaligen Ereignisse zu deuten und auszuleuchten. Nie zuvor hatte das Thema „RAF und die Folgen“ solche Konjunktur. Heinrich Breloer hat mit dem „Todesspiel“ drei notwendige Nachhilfestunden gegeben. Obwohl der Film an der Oberfläche blieb, zu vieles auf den Zweikampf Entführer-Krisenstab reduzierte und so gut wie keine Neuigkeiten bot, hat er erstaunlich viel Interesse und Nachdenklichkeit ausgelöst. Neugier und Emotionen werden wach, verdrängte Erinnerungen brechen auf.
Trotz aller Artikel, Bücher, Dokumentationen und Filme bleibt das Thema „1977“ von der Aura eines Tabus belastet. Woran liegt das?
Mir scheint, daß alle, Beteiligte wie Zuschauer, nur Segmente der Fakten sehen oder sehen wollen. Für alle gäbe es etwas aufzuarbeiten, für die RAF-Leute sowieso, aber auch auf seiten der Politiker, der Polizei, der Presse, der Justiz, bei den Helfern des Terrors wie bei der terrorablehnenden Linken. Bei Verfassungsschutz und BND, die immer noch viele Fragen offen lassen, und nicht zuletzt beim Großteil der Bevölkerung mit seiner „Rübe ab!“-Mentalität.
Die Anteile an Schuld und Verdrängung sind unterschiedlich verteilt, aber wer sie leugnet, wird das, was wir Deutschen Herbst nennen, kaum begreifen. Es führt nicht weit, sich nur am Frontverlauf moralischer Kategorien zu orientieren: hier die bösen Entführer, dort der tapfere Staat – oder die noch absurdere umgekehrte Version.
Nicht allein Helmut Schmidt fühlte sich mitten in ein klassisches Drama versetzt. Wir, die wir Zuschauer waren, spürten, daß unsere Passivität und Angst mit zu dem Stück gehörten. Der „Herbst“ ist das einzige nationale Ereignis seit 1945, bei dem kein Westdeutscher, der damals erwachsen war, sagen dürfte: Ich war hier unbeteiligt, ich war ohne Schuld. Nur die Geiseln in der Landshut sind da auszunehmen.
Damit soll kein Verbrechen entschuldigt und relativiert werden. Der historische Abstand erlaubt es aber, die Aufmerksamkeit auf die Dynamik der Angst, auf eine geradezu pathologische und zeittypische Sucht oder Suche nach Feinden und Gewalt zu lenken, die nicht nur auf eine Fraktion beschränkt war.
Was wie ein Räuber-und-Gendarm-Spiel, wie eine Fortsetzung der antiautoritären Aktionsformen begann, wurde mit der Befreiung von Andreas Baader im Mai 1970 ein politisches Spektakel, das sich nicht allein gegen den Staat, den Imperialismus und alle bürgerlichen Kräfte richtete. Aus fröhlichem Anarchismus wurde Krieg, das „Konzept Stadtguerilla“ ein todernstes Abenteuer. Gegen Polizei, Politiker, Presse, Justiz und „kleinbürgerliche Intellektuelle“, die von Erklärung zu Erklärung immer rotziger abgefertigt wurden. „Viel Feind – viel Ehr“, da liegt ein Grund für den maßlosen Hochmut der Gruppe, die zur Selbstbestätigung um so mehr Feinde brauchte, je unpolitischer ihre Praxis wurde: Beschaffungskriminalität, Raushauen der eigenen Leute und Erschießung von im Weg stehenden Polizisten – einzige politische Aktion war die Beschädigung des Gebäudes mit dem Computern für die Vietnameinsätze der US-Bomber in Heidelberg.
Während für die Täter der Krimi live die politische Arbeit ersetzte, kam die sich formierende RAF der Polizei, dem Verfassungsschutz, Teilen der Presse und den konservativen Parteien offenbar wie gerufen. Die gigantische Aufrüstung der Polizei, des BKA, der Geheim- und Sicherheitsdienste, all das geschah ja keineswegs widerwillig.
Die RAF war nützlich. Leichter war es nie, alles, was jung oder links war oder zum Aufklärerischen, Liberalen, Sozialen drängte, in die Nähe des Terrors zu rücken. Auch auf der konservativen und rechten Seite glühte eine Feindessucht, die der Politologe Peter Brückner seinerzeit als „innerstaatliche Feinderklärung“ analysiert hat. Sogar der Streit um Haftbedingungen, Isolation, Hungerstreiks und Prozeßführung litt so unter dem beiderseitigen Fanatismus, daß bis heute nicht mal Experten wissen, wer hier am meisten gelogen, verbogen, übertrieben, verharmlost hat. Deshalb auch interessierte sich bald niemand mehr für den Tod von Ulrike Meinhof, obwohl der so viele Rätsel aufgibt wie der von Uwe Barschel.
Die Eskalation 1970 – 1972 – 1977 wurde auch deshalb immer heilloser, weil die RAF ihr kriminelles Potential leugnete und die andere Seite sie nur als kriminelle Bande sehen wollte, was Klaus Bölling in späteren Jahren als den größten Fehler beim Umgang mit den „Staatsfeinden“ bezeichnet hat. Auf die Gruppe wurde stellvertretend alles Böse projiziert, auch dafür hatte sie zu büßen. Nicht nur aus Strafe für ihre Beleidigungen wurde den Angeklagten in Stammheim verweigert, was jedem Naziverbrecher erlaubt war: seine Anschauungen, seinen Werdegang zu erklären und zur eigenen Entlastung vorzutragen.
Polizei und Justiz bestritten ihre Verstöße gegen geltendes Recht so lange wie möglich (Abhörpraxis und so weiter), während die Illegalen sich nur noch von Illegalität umstellt wähnten. In der Paranoia immerhin waren sich die Feinde einig. Einer souveränen Demokratie wäre sie gewiß erspart geblieben.
Die Spirale der gegenseitigen Feindfixierung beschleunigte den Terror. Die „kritikimmune und reflexionslose Selbstgerechtigkeit eines Großteils der Repräsentanten von Politik und Staat“ macht der Kriminologe Fritz Sack mitverantwortlich und verschweigt die Mitschuld von Politik, Polizei, Justiz an der Eskalation der Gewalt nicht – in einer vom Bundesinnenministerium 1978 in Auftrag gegebenen, 1984 veröffentlichten, ziemlich unbeachteten Untersuchung.
Das komplementäre Verhältnis beider Seiten hat Horst Herold, Chef des BKA, in seinem off the record gesprochenen Satz über Andreas Baader in genialer Kürze so ausgedrückt: „Ich habe ihn geliebt.“ Von Baader wiederum sind die Worte des Respekts gegenüber Herold überliefert.
Es gab also, bei allen Gegensätzen, ein symbiotisches Verhältnis der RAF mit ihrem Gegner. „Beide Kontrahenten“, so der Jurist Klaus Eschen, „waren in eine dialektische Dynamik verstrickt, in der jeder des anderen bedurfte, um die eigene Identität zu finden oder zu behaupten.“ Erst die Ermordeten und die Selbstmörder des Jahres 1977 und der Befreiungsschlag der GSG 9 machten der Symbiose ein Ende.
Das Gegenteil von Symbiose ist Identität. Die fand der Staat durch Helmut Schmidts Entscheidung, der Erpressung nicht nachzugeben – und in der Nacht von Mogadischu. Baader, Ensslin, Raspe, indem sie die Bühne räumten – mit Wissen und Duldung geheimer Dienste, wie Stefan Aust in seinem „Baader Meinhof Komplex“ andeutet. Und die Entführer Schleyers dadurch, daß sie selbst in der Niederlage nichts als schäbige Mörder waren. Die Blicke des Opfers Schleyer sind Symbol geblieben. Sie sagen mir: Ihr seid schuld, ihr alle, aber ich bin es auch.
Die düstere Geschichte der RAF mit dem Höhepunkt ihres Kampfes gegen den Staat 1977 wird vor der Folie der deutschen Geschichte nicht heller, eher noch gespenstischer. Es ist oft und zu Recht behauptet worden, daß zumindest die erste, auch die zweite Generation der RAF aus Wut gegen die Verbrechen und das Mitläufertum der Väter agierte. Das war ein Essential der Studentenbewegung: Man wollte alles andere als Faschismus. Jeder Student wußte, wie sehr die alten Nazis die junge Bundesrepublik geprägt hatten. Psychologische Gründe wie die Opposition gegen die Väter verstärkten den Antinazismus. Empörung über die Polizei, die Notstandsgesetze, den Opportunismus gegenüber dem Vernichtungskrieg in Vietnam (3,6 Millionen Tote bis 1975) und die groben autoritären Strukturen waren Nährboden für den Faschismusvorwurf. Um 1970/71 strengten sich sogar Theoretiker wie André Glucksmann an, die Zustände in Westeuropa als „Neuen Faschismus“ zu verkaufen. Auch die RAF wollte, soviel ist sicher, alles andere als Faschismus, das aber mit Gewalt. Dieser Falle konnte sie nie entrinnen. Faschismushysterie wurde mit Faschismushysterie beantwortet. Den traurigen Höhepunkt lieferte Ulrike Meinhof, als sie – nach der Ermordung israelischer Sportler 1972 in München durch ein palästinensisches Kommando – Israel, die einzige Demokratie im Nahen Osten, als faschistischen Staat gleich doppelt verhöhnte.
Die Täter der RAF waren „irre geworden an der deutschen Geschichte“ (Otto Kallscheuer/Michael Sontheimer). Sie diskutierten nicht, sie dekretierten. Ihre Bomben lösten nicht ein einziges Problem, sondern produzierten neue. Fixiert auf das „Probieren“ von Gewalt, vergaßen sie, daß Faschismus da anfängt, wo Sätze fallen wie diese: „Wir sagen natürlich, Bullen sind Schweine, wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen. Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden, und natürlich kann geschossen werden.“
Die Reduktion der Sprache spiegelt die Reduktion der Wahrnehmung: „Die Knarre spricht.“ Aus den Parolen „Mensch oder Schwein“ und „Alles auf den Begriff Haß bringen“ folgte logisch die Kriegserklärung an alle Feinde und Skeptiker. Dreißig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, gegen Ende des Kalten Krieges, wieder diese so kerndeutsche wie schicke Kriegssucht. Während des Stammheimer Prozesses gipfelte sie in dem Begehren der Angeklagten, als Kriegsgefangene behandelt zu werden.
Wer „Krieg“ sagte, den Krieg erklärte, mußte damit rechnen, daß ein solcher innerstaatlicher Krieg nur verloren werden konnte. Auch die Zuteilung der Namen aus „Moby Dick“, zum Beispiel Baader als Ahab, läßt darauf schließen, daß sich die RAF-Leute unbewußt als Selbstmordkandidaten begriffen haben. Es half auch nicht, mit der Namenswahl die sowjetische Rote Armee zu beschwören oder die Abkürzung der Royal Air Force auszuborgen, die mit ihren Bomben den Krieg entscheidend verkürzt hatte. Sogar ihr Name verriet den Größenwahn der Gruppe und ist ein weiteres Indiz dafür, daß alles, was sie tat, auf verquere Weise aus der Historie motiviert war. Zu welcher Ironie die Geschichte fähig ist, zeigte sich 1977, als die RAF von den ehemaligen Oberleutnants und Leutnants aus dem Krisenstab vorläufig besiegt wurde.
Trotz der „Endsiegmentalität“ (Eschen) wäre es falsch, nachträglich die Demagogie der Bild-Zeitung zu bestätigen und die Täter der RAF als „Kinder Hitlers“ in die Ecke zu stellen. Man wird dem Publizisten Walter Boehlich zustimmen müssen, der kurz nach der Entführung einen hellsichtigen Essay unter dem Titel „Schleyers Kinder“ publizierte. Zentrales Motiv, so Boehlich, war der Haß auf Väter, auf Männer wie Schleyer, die trotz ihrer aktiven Beteiligung am Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Karriere machen und auf die wichtigsten Posten der Wirtschaft aufrücken konnten. Selbst wenn der Haß nur Vorwand gewesen sein sollte, symbolischen Effekt hatte er mindestens.
Im Jahr 1977 spielte Joachim Fests Film mit dem schmissigen Titel „Hitler – eine Karriere“ zehn Millionen Mark ein, publizierte der stern stolz die Goebbels-Tagebücher – und der Naziverbrecher Kappler wurde mit Hilfe von Gesinnungsfreunden aus einem römischen Gefängnis befreit, was hierzulande kaum für Aufregung sorgte. Hitler wurde im verzweifelten Ringen um das Wohl des Reiches gezeigt, die verbrecherische Vergangenheit Deutschlands in milderem Licht gesehen.
In dieser Situation war die Entführung Hanns Martin Schleyers ein doppeltes Politikum. Es galt ja nicht nur die Devise des Krisenstabs: Hinhalten, nicht erpressen lassen, befreien, Leben retten. In den Medien galt gleichzeitig die Parole, die noch weniger ausgesprochen wurde: Die Vergangenheit Schleyers nicht erwähnen oder herunterspielen, weil sie nicht zum Argument für die Terroristen werden dürfe. Die Angst, zu viel Wahrheit könne nur dem Gegner nützen, verband sich mit der üblichen Weigerung der Mehrheit der Deutschen, ihre Nazigeschichte als das Verbrechen zu sehen, das sie war. Schleyer ist schließlich ein sehr tüchtiger Nazi gewesen, dazu SS-Mann, wie man weiß, nicht von der „harmlosen“ Sorte. Der Zusammenhang deutscher Geschichten war plötzlich aufs peinlichste hergestellt und mußte tabuisiert werden: das ehemalige Mitglied einer kriminellen Vereinigung, gefangen von Mitgliedern einer neuen kriminellen Vereinigung.
Das sichtbare Leiden des gefangenen Arbeitgeberpräsidenten war für sich schon ergreifend. Irritierender noch war die Ahnung, daß die Polaroidphotos doppelt belichtet schienen. Das zweite Bild dahinter, über das nicht gesprochen wurde, war das heimliche, vielleicht das eigentliche Skandalon des Jahres 1977: Nie zuvor hatte man in Deutschland einen SS-Mann leiden sehen.
In allem haben sich die RAF-Leute verrechnet. Am Ende ging sogar von Schleyer eine kathartische Wirkung auf die bundesdeutsche Gesellschaft aus, die gar nicht zu unterschätzen ist. „Ein Mann, zu dem manche ein umstrittenes oder gar kein Verhältnis hatten, machte uns menschlich. Mitmenschlich“, schrieb damals die Bundeszentrale für politische Bildung.
Hat die Bundesrepublik also erst im Herbst 1977 den Preis dafür bezahlt, daß sie einen Bundespräsidenten hatte, der dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt hatte, einen Staatssekretär im Kanzleramt, der bei den Nürnberger Rassegesetzen federführend gewesen ist, und einen Kanzler, der im Propagandaministerium gearbeitet hatte?
„Während der Entführungszeit Hanns Martin Schleyers und aus Anlaß seiner Ermordung war die Bundesrepublik zum ersten Mal ein Staat im Vollsinn des Wortes…“ (Ernst Nolte). – „Wenn es ein wirkliches Bewußtsein für diese Bundesrepublik gibt, dann durch ‚Baader-Meinhof'“ (Wolfgang Neuss).
Es könnte einen schon wieder mißtrauisch stimmen, wenn selbst so unterschiedliche Geister wie Nolte und Neuss über den mittelfristigen Nutzen des Jahres 1977 einig sind. Doch es ist nicht von der Hand zu weisen, daß keine Staatsaufgabe so von den Wünschen der Bevölkerung begleitet und unterstützt wurde wie die, mit dem Terrorismus Schluß zu machen.
Obwohl sie Rechte abbaute, wurde die Demokratie gestärkt. Trotz Schleyers Ermordung erwuchsen der Bundesrepublik ein neues Staatsgefühl und ein Selbstbewußtsein, das nicht allein auf den Erfolg der GSG 9 zurückzuführen ist. Die Staatsfeinde hatten sich als Mörder oder Selbstmörder erwiesen, der Staat als Freund und Retter der Bedrängten. Schweigen, Lähmung, Erstarrung, dann Distanzieren und Abschwören, peinlicher und weniger selbstbewußt als im Herbst 1977 hätte sich die Linke, die Apo oder was davon übrig geblieben war, kaum verhalten können. Eingeschüchtert von der Totalität der Fahndung, von der Jagd auf Sympathisanten und ‚Sympathisanten‘, mit allem Denken und Handeln unter dümmsten Verdacht gestellt, ging auch der letzte offensive Elan verloren. Die RAF hat die Linke fast alles an Kraft, Spontaneität und Sprache gekostet, aber nicht erst 1977.
Das größte Versäumnis der terrorkritischen Linken war es, dem Kampf, den die RAF von 1970 an gegen sie führte, zu defensiv zu begegnen. Aktionen und Schriften der RAF sowie ihre grundsätzlich erpresserische Haltung sind zwar von allen möglichen linken Standpunkten kritisiert und beklagt worden, aber letztlich zu zaghaft. Die Quittung kam im Herbst 1977. Verloren haben Liberalität, Reformbereitschaft, politisches Engagement, soziales Handeln und Denken. Wer protestieren und verändern will, muß seit 1977 größere Schwellen, auch die der Lächerlichkeit, überwinden. Dagegen hat relativ freie Bahn, wer auf Sicherheit, Ego, Entsolidarisierung und so weiter setzt. Weil diese Werte in der CDU eher zu Hause sind, mußte es, sehr verkürzt gesagt, 1982 zum Regierungswechsel kommen, nachdem der Mogadischu-Bonus verbraucht war. Diese Entwicklung ist natürlich nicht allein „Verdienst“ der RAF. Doch man sollte zwanzig Jahre danach nicht mehr so kleinlich sein und den Beitrag unterschätzen, den der Sohn des Historikers Baader ungewollt für die deutsche Geschichte und für die zweite „Modernisierung“ Deutschlands (die erste brachte 1968, die dritte folgte nach dem Mauerfall) geleistet hat.
Der Einfluß des Terrorismus auf die Gesellschaft war enorm, jedoch anders als geplant: nicht „systemsprengend“, wie man früher sagte, sondern systemerhaltend. Bevor die tiefere Vernunft des Jahres 1977 allgemein ermessen wird, ist es das Privileg der Künste, in dem Drama die Komik, die Groteske zu entdecken. „Uns erschauert vor dem Gesicht des Terrorismus. Aber wir sollten öfter in den Spiegel sehen“, so Bundespräsident Walter Scheel bei der Trauerfeier für Hanns Martin Schleyer. Das war vor zwanzig Jahren fast zynisch deutlich gesagt. Es hängen immer noch genügend Spiegel an der Wand.

(Die Zeit, 25.07.1997)

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