Friedrich Christian Delius, FCD

Von der Tugend des Zersetzens

Von der Tugend des Zersetzens oder: Der Belletrist im Wohlstand

Eine Rede aus dem Jahr 1966

Warum ist das Zersetzen eine gute Sache? Friedrich Schmitz muß hier ein paar Allgemeinplätze wiederkäuen. Er geht von folgenden Gedanken aus. Das große Ganze hat uns oft genug betrogen. Weltanschauungen haben uns blind genug gemacht. Die Sucht nach Synthesen und großen Ideen wäre zu bremsen zugunsten einer Aufwertung der Analysen. Wer zersetzt, will analysieren, in Einzelteile zerlegen, sich nicht so schnell mit Synthesen zufrieden geben.

Zersetzen ist zuerst und zuletzt ein Teil der Arbeit während der Kunstproduktion. Literarische Kunst, so wollen wir doch hoffen, wird nicht allein mit Worten gemacht. Was sich da im einzelnen während der Produktion ereignet, läßt sich schwer sagen, es wäre für uns auch wenig interessant. Aber soviel steht fest: Wer Kunst oder etwas Ähnliches macht, der sollte seinen Gegenstand, ob konkret oder abstrakt, möglichst gut kennen, ihn auseinandernehmen, in Einzelteile zerlegen können. Die Einzelheiten hat der Zersetzer in ihren Zusammenhängen und außerhalb ihrer Zusammenhänge zu betrachten und sie, eine nach der anderen, nach seinen Kriterien, die ihrerseits nicht vom Zersetzen verschont bleiben, auf ihre – gemeint sind die Einzelheiten – Beschaffenheit hin zu untersuchen. Dieser Erkenntnisprozeß geht freilich oft unbewußt vor sich, diese Zersetzung findet heimlich statt. Sie ist notwendig, bevor der künstlerische Kopf seinen Gegenstand auf seine Weise, die er verantworten möchte, mit seinem Handwerkszeug wieder zusammensetzen kann. Der Baum auf der Straße ist etwas anderes als der beschriebene Gegenstand Baum auf der Straße.

Nun meint Herr Schmitz aber, dieser simple neutrale Vorgang des stillen Zersetzens ließe sich vielleicht aufwerten dadurch, daß man das unmittelbar folgende Neuzusammensetzen hinauszögern oder doch dem möglichen Leser anschaulich zu machen versucht. Das heißt: Der Autor mag mit dem Leser nicht nur die schöne Illusion und das Ergebnis des Gestaltens teilen, sondern auch die edle Nüchternheit und das Ergebnis des Zersetzens.

Zersetzende Literatur wendet sich also an mündige Leser. Denen könnte sich ein redlicher Autor mit möglichst wenig Verstellung als Wortführer anbieten und ihnen zeigen, welch goldnen Boden dies Handwerk des Zersetzens hat. Dieser Absicht widerspricht die Maxime von Jean Paul, „Leser kann man nicht genug betrügen“, nur scheinbar: Jean Paul rechnet mit Lesern, die wissen, daß sie und wie sie betrogen werden.

Zersetzen wäre also, schlicht gesagt, als Oberbegriff zu verstehen zu Wörtern wie entnebeln, entlarven, der Ratio überantworten usw. Das hört sich simpel an, und es ist simpel und enttäuschend für alle, die ihren Lessing oder Büchner oder Arno Schmidt gelesen haben. Aber hierzulande muß man solche Wörter und solche Scheinprogramme immer wieder attraktiv machen, obwohl jeder fortgeschrittene Nüchternheitsfanatiker weiß, daß gegen die Vorstellung von Kunst als Sonntagszubehör kaum ein Kraut gewachsen ist, solange unsere Lesebücher fast ohne Ausnahme am Weltbild des Mittelalters oder doch eines mittelalterlichen 19. Jahrhunderts festhalten und solange unser Deutschunterricht so törichte Erfindungen wie den Besinnungsaufsatz für sein A und O hält.

Zuspruch durch Gottfried Keller

Der Begriff Zersetzen soll also nicht als Schlagwort oder gar als neue literarische Theorie verstanden werden. Auch muß auf die möglichen Verführungen geachtet werden wie: Sich aus bloßem Snobismus dieses Begriffes zu bedienen, sich das Ungemütliche des Worts gemütlich werden zu lassen, und ebenso: sich etwa als Zersetzer in Chirurgenpositur zu gefallen.

Nach all diesen Umschreibungen werden Sie fragen, worin sich denn nun konkret dieses Zersetzen äußere. Da sind zunächst ein paar allseits bekannte literarische Techniken, in denen sich das Zersetzen relativ leicht ausüben läßt: Satire, Groteske, Ironie, Parodie, Polemik usw. Auch die in den letzten Jahren so populär gewordene Dokumentartechnik ist hierhin zu rechnen.

Autor Friedrich Schmitz muß zugeben, daß ihm vor oder während seiner literarischen Arbeit die Vokabel Zersetzen nicht in den Sinn kommt. Wenn er mittendrin steckt, kommt ihm allenfalls eine wohlüberlegte Aggressivität hoch; die will formuliert sein. Wenn er zum Beispiel an einem gesamtdeutschen Gedicht sitzt, versucht er es so zu schreiben, daß sich niemand dabei wohl fühlen oder den Pharisäer spielen könnte. Wenn er sich zum Beispiel mit handfester CDU-Ideologie beschäftigt, streut er polemisch Sand ins Getriebe. Wenn sich zum Beispiel die Große Koalition formiert und Schmitz seine Wut darüber formulieren möchte, versucht er das in Form der Parodie eines schwermütigen Rilke-Tons. Wenn er zum Beispiel einen Roman schreibt, tarnt er ihn als Heimatroman. Die Ergebnisse solcher Vorsätze können von Interpreten dann mit gutem Recht zersetzend genannt werden.

Zersetzen wäre also: Das auseinanderzunehmen, was anderen Leuten, die Schmitz nicht passen, lieb und teuer ist, und was an seiner Meinung nach falschen Idealen oder falschgemünzten Wahrheiten im Umlauf ist.

Natürlich macht sich Herr Schmitz wenig Illusionen über den Effekt seiner Versuche. Das Thema Deutschland bleibt ein Sonn- und Feiertagsthema, die CDU wird immer noch von viel zuviel Leuten gewählt, Willy Brandt ist immer noch nur Vizekanzler, die Heimat bleibt immer noch hoch und heilig, gegen all das helfen Tinte und Druckerschwärze so gut wie nichts.

Also warum, höre ich Sie fragen, diesen ganzen Aufwand, dieses theoretische Blabla und diesen armseligen Erfolg? Was für ein kindisches Unterfangen, werden Sie denken, andere Leute ärgern zu wollen, nur um die eigene Eitelkeit zu beschwichtigen. Oder spekuliert unser Schmitz gar auf Unsterblichkeit. Prophetentum oder, noch schlimmer, auf die Genugtuung, in naher Zukunft mal sagen zu können: Seht, ich war ja schon immer dagegen?

Nun, Herr Schmitz ging davon aus, daß es schon eine erfreuliche Wirkung der Literatur wäre, sich entweder Freunde oder Feinde zu machen. Von den Feinden, den sogenannten, haben wir gesprochen. Wo aber sucht Herr Schmitz sich Freunde, von Kollegen und Berufslesern mal abgesehen? Will er etwa irgendeinen NPD-nahen Onkel, irgendeinen unverbesserlichen William Schlamm, irgendeinen unbekannten Leser auf den Pfad der intellektuellen Tugend zurück- oder hinführen?

Nein, solche vermessenen Illusionen macht Herr Schmitz sich nicht. Er setzt auf eine andere Karte. Er läßt sich, möglichst sachlich, auf eine andere Hoffnung ein. Er engagiert sich, hier sei das häßliche Wort ausnahmsweise erlaubt, für die Leute, die man in Hofgeismar Junge Generation nennt. Also, rund gesagt, Altersgenossen, Damen und Herren, von 17 an aufwärts, die den Karl May und den Wolfgang Borchert hinter sich haben, aber Golo Manns „Deutsche Geschichte“ noch vor sich, die man ihnen feierlich überreicht hat, sofern sie in Hessen Abitur gemacht haben, die sie aber als letztes Relikt einer schlimmen Zeit ansehen und folglich nicht lesen. Von der Mode gehätschelte Leute, meint Schmitz, die mit Marika Kilius, Franz Beckenbauer und den Beatles groß geworden sind und sich jetzt etwas ratlos, aber nicht verzweifelt, auf einen Beruf vorbereiten, wie es heißt.

Herr Schmitz hofft und bildet sich jedenfalls ein, diese Altersstufe sei zur Kritik veranlagt, und müßte um ihrer selbst willen kritisch gehalten werden. Besonders, da sich auch bei ihr die Zeichen der Verfettung mehren; so hört man, daß Lehrlinge hier und da nach ihrem Pensionsanspruch fragen, so weiß man, daß Leute mit 21 Jahren NPD wählen oder CDU. Denen, die sich zu situieren oder sich mit Begriffen wie Schicksal abzufinden beginnen, und denen, die sich noch nicht zufrieden geben wollen, und denen, die sich von der Großen Koalition in den Schmollwinkel treiben lassen, könnte man vielleicht Material und Argumente für ein sachgerechtes Unbehagen liefern, ihre Kritik vorformulieren, man könnte ihnen das Zersetzen für den literarischen oder politischen Hausgebrauch plausibel machen, ihnen zeigen, wie man selber dies Handwerk ausübt, als primus inter pares höchstenfalls, nicht als Vorbild oder literarischer Leithammel, sondern als einer, der zum Teamwork ermuntert und auffordert, nach Herzenslust zersetzen.

Was aber wäre denen zu antworten, die jetzt auf den Einwand kommen, die Jugend brauche doch Vorbilder, man könne doch nicht alles respektlos auseinandernehmen, das sei doch nicht positiv, wo soll denn das hinführen, woran soll man sich denn da noch halten? – Ich zitiere als Antwort einen Autor, der besser ist als Sie ihn von der Schule her kennen, ich zitiere den seriösen Dichter Gottfried Keller:

„Es gibt eine Redensart, daß man nicht nur niederreißen, sondern auch wissen müsse aufzubauen, welche Phrase von gemütlichen und oberflächlichen Leuten allerwegs angebracht wird, wo ihnen eine sichtende Tätigkeit unbequem entgegentritt. Diese Redensart ist da am Platze, wo obenhin gesprochen oder aus törichter Neigung verneint wird; sonst aber ist sie ohne Verstand. Denn man reißt nicht stets nieder, um wieder aufzubauen; im Gegenteil, man reißt recht mit Fleiß nieder, um freien Raum für Licht und Luft zu gewinnen, welche überall sich von selbst einfinden, wo ein sperrender Gegenstand weggenommen ist. Wenn man den Dingen ins Gesicht schaut und sie mit Aufrichtigkeit behandelt, so ist nichts negativ, sondern alles positiv, um diesen Pfefferkuchenausdruck zu gebrauchen.“

Ein Maulheld ist kein Held

Wer nach diesen Worten noch Angst hat, den Boden unter den Füßen zu verlieren, wer sich scheut vor ungemütlichen Gedanken und vor dem Risiko, Meinungen ändern zu müssen, der hat in der Literatur wenig oder nichts zu suchen, der mag, wenn er sonst einfältig, aber nicht ohne die Künste leben will, lediglich Westermanns Monatshefte oder Hans Carossa oder Luise Rinser lesen oder sich an wertneutrale musikalische Vergnügen halten. Die Literatur, wenn sie Literatur ist, wird ihm nicht helfen können.

Die Sätze von Gottfried Keller lassen sich aus vielen Gründen noch zuspitzen. So sagt etwa Ulrich Sonnemann mit Pathos aber mit Recht: „Der Geist soll zersetzen, bis er auf etwas trifft, was ihm standhält, war er achten und verehren kann, und also – das sollten wir festhalten – ist ein Mensch, der nicht zersetzt, obwohl er es den Sachverhalten nach sollte und seiner persönlichen Anlage nach könnte, einfach ein Verräter am Geist und am Menschlichen selbst, ein unwahrhaftiger Mensch und ein moralischer Feigling.“

Sehr gut, sehr richtig, denkt sich Friedrich Schmitz bei diesem Satz.

Allerdings, und nun fangen die Bedenken wieder an, hier darf derjenige, der sich als Zersetzer betätigt, nicht den üblen Fehler begehen und sich den anderen Leuten gegenüber für ein seltenes Exemplar, für einen moralischen Mutprotz, für einen immer kühnen und ewig treuen Recken des Geistes halten. Sonst kommt schnell wieder das Gefasel vom Schriftsteller als Gewissen der Nation auf, das den Herrschern nur recht ist, weil das Gewissen dann wenigstens ein paar Leuten zugeschrieben werden kann, die man sowieso nicht ganz ernst nimmt. Solcher anspruchsvollen Haltung bleibt am Ende nur der Protest übrig.

Nichts gegen Proteste – solange wer da protestiert weiß, daß der feinstformulierte Protest wie das redlichste Zersetzen weder sein Gewissen noch das seiner Nation beschwichtigen können, sollen, dürfen. Wenigstens soviel vorausgesetzt, mag jeder Autor, der es für nötig hält und was er zu sagen hat formulieren kann, gegen Johnson und Ky, Franco und Ulbricht, Salazar und Vorster und, mit Verlaub, gegen Wehner und Kiesinger und wie sie alle heißen, protestieren. Wichtiger aber ist, nach Kräften dahin zu arbeiten, daß solch Protestieren nicht zum Privileg der Schriftsteller und damit immer weniger ernst genommen wird. Schließlich muß, wer hier protestiert, wissen, daß solch verbales moralisches Verhalten nur wenig wiegt und leicht zu erwerben ist: Durch Worte und Papier. Ein Maulheld – ich verstehe dies Wort überhaupt nicht polemisch, sondern möglichst positiv-sachlich – ein Maulheld ist kein Held, jedenfalls nicht hier im Westdeutschland.

Herr Schmitz weiß, daß er im Wohlstand recht angenehm lebt. Er ist schon so verdorben, daß er nichts oder wenig von der Theorie hält, ein Dichter könne nur am Hungertuche nagend groß und stark werden. Bankkonto und Alkoholkonsum sind keine literarischen Kriterien. Wer sich vom Wohlstand korrumpieren läßt, läßt sich auch von der Armut korrumpieren.

Auf der anderen Seite gibt es den literarischen oder publizistischen Überfluß. Immer schwieriger wird es uns Zeitgenossen, Gedanken und Informationen noch aufzunehmen, da wir schon mehr haben als wir bewältigen können. Die Stelle im Prediger Salomo, daß des Büchermachens kein Ende sei, und der Spott der gescheiten Autoren des 18. Jahrhunderts über die Unzahl der Bücher auf den Leipziger Buchmessen sind nur ein schwacher Trost. Hier hilft nur ein gut trainierter literarischer Instinkt.

Mit welchen Voraussetzungen macht sich Friedrich Schmitz nun an die Arbeit des Zersetzens? Er muß sich ja darauf einstellen, daß er herzlich wenig zu bestellen hat. Dies Wenige wird am besten getan mit Wissen, Genauigkeit, Misstrauen. Die verhelfen ihm im kulturellen und politischen Zirkus zu so etwas wie einem Standpunkt.

Herr Schmitz geht davon aus, daß er und die meisten seiner Kollegen, die große Masse der mittleren Talente, keine wesentlich neuen Ideen aufzutischen haben und daß er seinen Kopf vor allem dafür gebrauchen will, die vorhandenen Gedanken zu sichten und auf ihre Tauglichkeit für die Gegenwart zu prüfen. Deshalb die vielen Zitate, von denen er lebt.

Mit Genauigkeit auch möchte sich Schmitz gegen die immer mehr in Mode kommende Pauschalkritik absetzen. Die Kritik aus Bequemlichkeit und Snobismus ist, wie wir täglich sehen, zum großen Geschäft geworden. Vorlaut, stumpfsinnig und im Grunde sehr zufrieden kommt ein beträchtlicher Teil unserer Generation daher und nimmt die Protestsongs gedankenlos hin wie ihre älteren Geschwister Elvis Presley oder Freddy hingenommen haben. Solidarisch mit Süverkrup und Degenhardt und ihren Freunden protestiert Schmitz gegen Songs wie „Freiheit, wo kann ich sie fi-hin-den“, wo Kitsch Kritik sein soll. Wo Kritik, man mag das Wort schon gar nicht mehr in den Mund nehmen, ohne Reflexion, ohne Selbstkritik, ohne Risiko, aber dafür mit Gitarre und Chor im Hintergrund geübt wird, ist sie Opium, wenn nicht fürs Volk, so doch für die Jugend – solange sie noch kein anderes hat. Auch diese Erscheinungen beobachtet Herr Schmitz ziemlich hilflos.

Leser – Gewissen der Nation

Was bleibt eigentlich übrig, so müssen wir jetzt fragen, hinter soviel Mißtrauen, hinter so viel modischem Unterstatement, das Friedrich Schmitz hier an den Tag legt. Ich höre Sie fragen, ob da irgendwo ein Standpunkt sei. Nun, Herr Schmitz scheut sich vor großen Worten und geniert sich, Anspruchsvoll-Verbindliches zu formulieren. Statt dessen hat er eine Schwäche für anderleuts goldene Worte. Er könnte Ihnen hier ein paar Proben davon zitieren, aber wozu, das sagt wenig über ihn, das sind im Grunde ganz nützliche Dekorationen am eigenen Brett vorm Kopf.

Sie hören aus solchen Worten, wie Friedrich Schmitz dazu neigt, mit seiner eigenen Schwäche und Minderwertigkeit zu kokettieren. Verstehen Sie das bitte richtig als Flucht vor Selbstmitleid, vor Verzweiflung, vor Resignation. Diese bösen Drei stehen ihm nicht zu Gesicht, die sind ihm verhaßt. Gerade jetzt angesichts der Großen Koalition, wo die Luft voll ist von Wörtern wie Gemeinsamkeit, Übereinstimmung, Einigkeit macht stark, Wir sitzen doch alle in einem Boot usw., feiert die Resignation eindrucksvolle Siege über die Nüchternheit. Aber nein, da macht Freund Schmitz nicht mit, er hält sich, vorerst, an weit mehr unerschöpfliche Haustiere wie Scherz, Witz, Ironie. Er nimmt sein Idyll, in dem er zweifellos steckt, soweit wie möglich ironisch.

Er geht zurück an seinen Schreibtisch, mit Heiterkeit und Einbildungskraft gesegnet, ärgerlich nur über soviel hier ausposaunte Theorie und nicht sicher, ob er Ihnen mit dem Begriff Zersetzen nicht doch nur einen Floh ins Ohr gesetzt hat.

Von fern denkt er an Leser, die Spaß verstehen. An Leser, die mit Poesie und den poetischen Künsten noch mehr im Sinn haben als die Pflege ihres schönen Scheins. An Leser, die einem die literarische Kunst ohne die allgemeine Hätschelei abkaufen, die auf die dekorative Harmlosigkeit der Kunst pfeifen und sie, unsere allseits geschätzte Belletristik, nicht in die ewigen Jagdgründe des Wahren, Schönen, Guten verbannen. Solche Leser sind am Ende wichtiger als Literatur und Literaten, da mögen Herr Schmitz und seine Kollegen schwatzen und schreiben, was sie wollen. Sie, meine Damen und Herren, schöne Leserinnen und geneigte Leser, sind, mit Verlaub, das Gewissen der Nation. Wir sind nur Maulhelden – die Helden aber, um im Bild zu bleiben, sind Sie.

(Vortrag, gehalten am 30.12.1966 während der Tagung „Der Staat und die Literatur in Deutschenland“ in der Ev. Akademie Hofgeismar. Sonntagsblatt, 5. Februar 1967)

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