Bert Papenfuß-Gorek
Über „Rasender Schmerts Weiterlachen“ von Bert Papenfuß-Gorek
Weiterlachen, Weitermachen
Kein mitreißendes, kein, „schönes“, aber ein romantisches Gedicht – aus den achtziger Jahren. Zwölf Zeilen, die mich anziehen und abstoßen, also über Kräfte verfügen, die erklärt werden wollen. Manchen mag zuerst die eigenwillige Orthographie schrecken; ich sehe in solchen Variationen grammatikalischer und anderer Normen eher bescheidene Versuche, in turbulenten politischen Epochen (wie zur Zeit des Dreißigjährigen oder des Ersten Weltkriegs) der Sprache Herr zu bleiben. Papenfuß-Gorek ist einer der Autoren aus der ehemaligen DDR, die den Starrsinn der Staatsreden, den Szene-Jargon und die allzu ausgeklügelte Literatursprache attackiert und im Zerfetzen der fremden ihre eigene Stimme gefunden haben.
Das Eigene liegt in der spröden Anziehungskraft des Gedichts, in den Bewegungen zwischen den Extremen „rasender schmerts“ und „weiterlachen“, in der eher spielerischen als ernsthaften Suche, zunächst ohne Ziel und Objekt. „die kreuts & die kwehr“, als modale Bestimmung zu verstehen, kann auch substantiviert gelesen werden: Suche nach dem Durcheinander. Dabei kommt es herum, das suchende Ich, und trifft andere Wanderer, die sich selbst von heiteren Grüßen leicht verstören lassen, ob „kreutsdeutsch“ oder „kwehrdeutsch“. Dazwischen sucht einer den eigenen Weg, verabschiedet nebenbei mit einer liebevollen Schmähung das „faterland“, das teure, denn das Ziel ist „das neuterland“.
Der Lautsprung von Mutterland in „meuterland“ ergibt einen gelungenen Kalauer, aber doch mehr, denn er öffnet neue Bedeutungen. Die Assoziationen in Richtung Meutern, Verweigerung haben neben dem politischen Sinn einen sprachlichen, literarischen. Sie erinnern daran, daß Poesie, auch die stille und demütige, unter anderem aus rebellischen Motiven gespeist wird: Das Gedicht als Widerspruch eines einzelnen, als Versuch, eine eigene Sprache zu finden gegen die andern, die Mehrheit, gegen die Übereinkünfte von rechts und links und der bequemen Mitte. Der Radikalismus der Romantik, „daß die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide“ (Friedrich Schlegel), könnte in Papenfuß-Goreks „meuterland“ zum Grundgesetz werden. Ein Land für Selbstgefällige und Idylliker des Protests jedenfalls ist das nicht.
Das verdeutlicht die zweite Strophe. Das Ich tritt zurück – und erwartet „die kleinen gruenen jungs / in ihren warmhalteuniformen“. Der Text im Jahr der deutschen Einheit publiziert, läßt offen, ob hier die Volkspolizisten die Vorstellung bestimmt haben oder die mit westlichen Uniformen verkleideten Vopos oder schon die selbstbewußteren westlichen Kollegen oder doch nur die kleinen Männchen vom anderen Stern. Es sind keine Feinde, eher unbedarfte „kleine jungs“ und „gruen“, wenn nicht sogar „daumenlutscher“: das „meuterland“ wird diese Invasion aushalten.
Nun scheint sich das kantige Gedicht zwischen „dornen“ und „grossfeuerholz“ zu verlieren oder wie ein Videoclip zu verlöschen. Doch da, nach seiner schwachen Stelle, kommt von außen ein befremdliches Schulterklopfen: „spannend erzaehlt weitermachen“. So spricht jemand ironisch zu sich selbst oder als Fan, Kritiker oder Sponsor gönnerhaft von oben herab. Der Autor setzt den saloppen Spruch ans Ende und zeigt damit, daß er sein Dilemma als rebellischer Poet kennt. Er stößt also noch einmal zum Weiterdenken an.
Denn im „Weitermachen“, mit Ausrufungszeichen zu lesen, steckt die Aufforderung „Bleib, wie du bist, wie wir dich mögen!“, die für den Künstler, wenn er sie ernst nimmt, tödlich ist. Indem Papenfuß dieses Mißverständnis (oder diese Unverschämtheit) lachend zitiert, deutet er an, daß er nicht „so“ weitermacht. Der Verzicht auf Interpunktion hilft mir nun, am Schluß, verstärkt durch den entfernten Reim auf „weiterlachen“, ein Fragezeichen zu entdecken, das hinter dem Schlüsselwort der neunziger Jahre wartet: Weitermachen?
(Aus: Frankfurter Anthologie 15. Hg. von Marcel Reich-Ranicki. Insel Verlag, Frankfurt 1992)