Satiren Wir Unternehmer
Wir Unternehmer
Über Arbeitgeber, Pinscher und das Volksganze
Eine Dokumentar-Polemik anhand der Protokolle des Wirtschaftstages der CDU/CSU 1965 in Düsseldorf
Unter wissenschaftlicher Mitarbeit von Karl-Heinz Stanzick
96 Seiten, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1966
Pendragon Verlag, Bielefeld 1983
ISBN 978-3-923-30611-4
Wir Unternehmer. Unsere Siemens-Welt.
Einige Argumente zur Verteidigung der Gemüseesser
rororo taschenbuch Werkausgabe
464 Seiten, € 12,99
ISBN 978-3-499-26783-3
Pressestimmen:
Aus hohler Brust
Polemische Auseinandersetzungen, vor allem wenn sie Intelligenz verraten, sind hierzulande nur selten geschätzt und dienen dann vorwiegend dem Zweck, in Namen des gesunden Volksempfindens einer Minderheit mit scharfer Zunge den Garaus zu bereiten. Ohne solch hochgemutes Rüstzeug jedoch fallen sie der Verschwiegenheit anheim, mit der die Gesellschaft die Kritik an ihr zur Wirkungslosigkeit verdammen will. Das nicht ganz korrekte, aber in der Praxis häufig bestätigte Fazit dieser Überlegungen müßte lauten: je allgemeiner und unverbindlicher eine Polemik, desto populärer ist sie – oder: die Qualität einer pointierten Auseinandersetzung vergrößert sich in dem Maße, indem sie auf Ressentiments und Empfindlichkeiten einer Mehrheit keine Rücksicht nimmt.
Das ist gewiß ein Grund dafür, daß trotz eines zaghaft zustimmenden Spiegel-Artikels Friedrich Christian Delius‘ Dokumentarpolemik „Wir Unternehmer“ bisher weithin mit Schweigen bedacht wurde. Der 23jährige Berliner Lyriker, bereits vor eineinhalb Jahren in Wagenbachs „Quartheften“ durch seine überzeugende Gedichtsammlung „Kerbholz“ aufgefallen, wagte sich aus den ohnehin nicht esoterischen Gefilden seiner Lyrik hinaus in das (für Literaten anscheinend immer) windige Klima der Politik, besser noch: der Gesellschaftskritik. Die Protokolle des CDU/CSU-Wirtschaftstages im Juli 1965, von seinem damaligen Präsidenten Franz Etzel als eine Demonstration für aktive Teilnahme der Wirtschaft am politischen Leben charakterisiert, bildeten die Grundlage zu dieser Polemik über „Arbeitgeber, Pinscher und das Volksganze“. Der Untertitel weist nicht nur auf die breite Angriffsfläche hin, sondern bestätigt auch, daß an demselben Tag jene unglücklichen Qualifizierungen eines Volkskanzlers fielen, der einen großen Teil unserer Schriftsteller einer bestimmten Hundeart zuordnete.
Dies mag für Delius der Anstoß zu seiner Arbeit gewesen sein, nicht jedoch sein einziges Angriffsziel. Das bieten vielmehr die zahlreichen erschöpfenden Reden und „laudationes“ dieses Tages, die er – gekürzt und nach verschiedenen Gesichtspunkten zusammengefaßt – wie eine szenische Lesung anbietet. Kein Satz dieser Polemik wurde im Wortlaut geändert, nirgendwo etwas innerhalb des Zitats hinzugefügt, manches nur gekürzt und in einen neuen Zusammenhang verwiesen. Die Absicht wird im Ergebnis eindeutig: Die ideologisch verbrämte, naiv mystifizierende Sprache einer Gesellschaftsschicht macht sich selbst zum Gegenstand eines zornigen Gespötts, entlarvt in ihrer aufgeblähten, unvergorenen und verantwortungslosen Diktion die Unlauterkeit, mit der sie gehandhabt wurde. Über 67 „Quartheft“-Seiten hinweg versorgt Delius selbst zurückhaltende, bis jetzt skeptische Gemüter mit eindeutigen, ja erschreckenden Informationen aus einem Kreis, dessen hier präsentierte sprachliche und geistige Leistung in keinem Verhältnis zu seinem Einfluß steht. Man begegnet ebenso den vielfältigen Ausschweifungen eines leer und bedeutungslos gewordenen Vokabulariums, das seine Legitimation von schwammigen historischen Wertvorstellungen ableitet wie dem kleinmütigen Mucker aus einer Krisenbranche, der noch gerne einen Abglanz jener bedeutungsträchtigen „gesamtwirtschaftlichen“ Fragen auf sich und seine Interessengruppe fallen sehen möchte. Die Versform, in der Delius die einzelnen Reden und Diskussionsbeiträge präsentiert, unterstreicht die Banalität und Gefühlsseligkeit der Sprache und der in ihr formulierten Gesellschaftskonzeption, während das geschliffene, nüchtern präzise Vorwort sowie die in Kursivschrift eingestreuten Kommentare von Karl-Heinz Stanzick von der sorgfältigen Arbeit zeugen, die das Buch weit über den Rahmen üblicher Polemiken erheben.
Raffinesse in der Anlage und Intelligenz zeigt schließlich das angefügte Schlagwortregister („Abenland; Anliegen; Arbeitskraft; Arbeitsmoral; Aufbauleistung, echte; Aufgabe Banausen; Bedürfnis“ usw.). In dieser Einteilung nach gebräuchlichen Etikettierungen wird nicht nur der Polemik eine abschließende Legitimation erteilt, sondern das Buch auch in den Rahmen jener wichtigen und aufklärerisch entlarvenden sprachlich-soziologischen Abhandlungen gewiesen, die wie Dolf Sternbergers „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ wesentlich zur Erhellung einer paranoiden Bewußtseinssituation beigetragen haben.
(Lothar Romain, Der Monat, März 1967)