Leseprobe Mein Jahr als Mörder
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„Es war an einem Nikolausabend, in der Dämmerstunde, als ich den Auftrag erhielt, ein Mörder zu werden. Von einer Minute auf die andere war ich, wenn auch flatterndenLei chtsinns, einverstanden. Eine feste männliche Stimme aus der Luft, aus dem unendlichen Äther, stiftete mich an, kein Teufel, kein Gott, sondern ein Nachrichtensprecher, der seine Meldungen ablas und, wie auf einer zweiten Tonspur, mir die Aufforderung ins Ohr blies, den Mörder R. zu ermorden. Eine Stimme aus dem RIAS, dem Rundfunk im amerikanischem Sektor, noch dazu am Tag des heiligen Nikolaus – ich verstehe jeden, der mich oder den, der ich damals war, für verrückt hält, wenn ich heute den längst verjährten Mordanschlag gestehe.
Mein Geheimnis kennt niemand, die Polizei hat von den verborgenen kriminellen Trieben so wenig bemerkt wie meine besten Freunde, und da ich als stiller und friedlicher Mensch gelte, ist mein Schweigen beim Thema Mord und Gewalt nie verdächtig gewesen. Jetzt darf ich sprechen, das Geständnis ist fällig. Allmählich wächst die Lust, die Geisterbahn der Erinnerung anzuwerfen und in die kleine Wohnung im Souterrain hinabzusteigen, wo ein Student das Radio anstellt, den Kachelofen mit Eierkohlen füttert, Wasser für Pulverkaffee kochen lässt und dem Duft der Pfeffernüsse aus dem Adventspäckchen der Mutter nicht widerstehen kann.“